‚Leistung muss sich wieder lohnen’, heißt es in aktuellen politischen Statements, in denen die staatliche Unterstützung von Arbeitslosen nach dem ‚Gießkannenprinzip’ kritisiert werden soll. Leistung wird hierbei mit Erfolg unmittelbar gleichgesetzt, was darauf hindeutet, dass Leistung eine Norm und kein objektives Faktum ist. Zudem ist Leistung abhängig von den Instrumenten, mit denen sie gemessen wird. Leistung gilt schließlich darüber hinaus als zentrales Normprinzip moderner Gesellschaften, denn unabhängig von Merkmalen wie Klasse, Herkunft, Alter, Religion oder Geschlecht soll jedem Menschen qua Leistung die Möglichkeit zu sozialem Aufstieg und gesellschaftlichem Erfolg gegeben werden. Das Bildungssystem stellt neben dem Beschäftigungssystem den zentralen gesellschaftlichen Ort dar, an dem dieses Postulat verwirklicht werden soll. Mit den Befunden von PISA wurde dem deutschen Schulsystem mangelnde Leistungsfähigkeit attestiert und so ergibt sich die Frage, welche Normen dem Begriff der ‚Leistungsfähigkeit’ zugrunde liegen und woran diese gemessen wird: An all den Staaten, die im Länderranking vor Deutschland lagen oder an der kontinuierlichen Reproduktion der Bildungsungleichheit im mehrgliedrigen Schulsystem?
Leistung zwischen Emanzipation und Distinktion
Als moderne Universalnorm, die in allen sozialen Feldern wie Arbeit und Beruf, Bildung, Sport, Medien, Kultur usw. den individuellen Status legitimiert, kommt Leistung als Zuweisungskriterium eine entscheidende Rolle zu (Allokation). Denn mit der Annahme, dass Leistung stets individuelles bzw. persönliches Verdienst ist, bildet sie das Gegenprinzip zu einer gesellschaftlichen Ordnung kollektiver Privilegien, wie sie für das Feudalsystem charakteristisch war. Dagegen machte historisch vor allem ein aufstrebendes Wirtschaftsbürgertum (Bourgeoisie) mobil, indem es die gebührende Anerkennung seiner Leistungsfähigkeit einforderte. Seitdem ist Leistung doppelt konnotiert: Auf der eine Seite wurde Leistung mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft zum zentralen Instrument gesellschaftlicher Emanzipation einer bestimmten Klasse. Auf der anderen Seite entwickelt sich Leistung wiederum auch zum allgemeinen Distinktionsmittel sowohl gegenüber den Ansprüchen der feudalen Oberschicht, deren ‚Verdienst’ nicht auf Leistung, sondern Vererbung beruhte als auch gegenüber den Forderungen nicht-bürgerlicher Unterklassen, wie sie sich in universellen Gleichheitsforderungen artikulierte (der Vierte Stand der Französischen Revolution). Diese historische Einordnung macht deutlich, dass die Genese moderner Bildungssysteme untrennbar mit dem Leistungsgedanken verknüpft ist. Dies hat nicht nur mit dem Umstand zu tun, dass das Bildungssystem Garant für gesellschaftlichen Aufstieg und damit für die Realisierung gesellschaftlicher Mobilität (geworden) ist, sondern auch mit der strukturellen Verknüpfung zentraler Funktionen des Bildungssystems mit dem meritokratischen Prinzip der Leistung. So können Selektion und Differenzierung im modernen Bildungssystem nur als legitim erachtet werden, wenn sie nach Leistung erfolgt, die a) objektiv im Vergleich unterschiedlicher ‚Leistungsträger’ bestimmbar und b) individuell leistungsgerecht sein muss. Doch auch ‚Objektivität’ als wissenschaftlich konstruiertes Gütekriterium, das eine ‚Sichtbarkeit’ von Leistung suggeriert, hängt von weitergehenden Bezugsnormen ab. In der Pädagogik werden hierbei in der Regel drei Formen unterschieden: a) Die kriteriale Bezugsnorm, nach der Leistung von Kriterien abhängig gemacht wird, die im Vorhinein (ex ante) festgelegt werden, b) die individuelle Bezugsnorm, nach der die individuelle Leistung anhand der Zunahme über die individuelle Lernzeit bewertet wird und c) die soziale Bezugsnorm etwa der Klasse bzw. des Klassendurchschnitts als Maß der Leistungsbeurteilung. Jede dieser Bezugsnormen blendet bestimmte Dimensionen aus, was nicht nur die grundlegende Selektivität der Leistungsbewertung selbst deutlich werden lässt, sondern auch zeigt, wie tief sich die beiden genannten Merkmale der ‚Emanzipation’ und ‚Distinktion’ historisch und bis heute in den Leistungsdiskurs eingeschrieben haben. Denn sich als Subjekt in der modernen Gesellschaft „jenseits des Leistungsprinzips“ (Itschert 2013) zu definieren, ist nahezu unmöglich, weil es vielfache und differenzierte Ausschlüsse zur Folge hat: ‚Leistungsverweigerer’ oder ‚Faulenzer’ bilden einen Pol zum positiven Gegenpol der sogn. ‚Leistungsträger’, zwischen denen die ‚Leistungsschwachen’ figurieren. Über Leistungszuschreibungen werden also Subjektpositionen verteilt, durch die jedweder gesellschaftliche Erfolg – auf welche Weise auch immer erzielt – als ‚verdient’ bzw. ‚Verdienst’ geadelt wird. Gerade im Kontext einer tendenziellen Dominanz wirtschaftlicher Erfolgskriterien in allen Lebensbereichen wird das moderne Subjekt primär als Leistungssubjekt definiert – und mithin bestimmt dies auch seinen Status als gesellschaftlich emanzipiert im Sinne von materiell und wirtschaftlich unabhängig. Zugleich werden mit Bezug zum Leistungsbegriff die erwähnten Ausschlüsse produziert und legitimiert, worin die erwähnte Distinktionsfunktion des modernen Leistungsbegriffs liegt. Der pädagogische Akt der Differenzierung ist, wie Bourdieu/Passeron gezeigt haben, stets sozial überdeterminiert und kann daher in dieser kritischen Perspektive nie ‚objektiv’ sein. Denn in die Leistungsbeurteilungen gehen unsichtbare soziale Bewertungen auf Seiten von Lehrer_innen und Dozent_innen etwa in Form subjektiver Theorien ein, die selbst nicht mehr reflektiert werden.
Leistung als gesellschaftliche Norm
Es gibt eine Vielzahl von speziellen Leistungsdefinitionen, aber die folgende Definition von Wolfgang Klafki berücksichtigt die erwähnten normativen und relationalen Bezüge eines komplexen Leistungsverständnisses. Demnach ist Leistung der
„Inbegriff bestimmter soziokultureller Normen, deren Erfüllung den Individuen abverlangt wird; in dem Grade, in dem solche Normen erreicht werden und je nach der historisch-gesellschaftlich geltenden Einschätzung des Anspruchsniveaus unterschiedlicher Normen, sind an ihre Erfüllung gesellschaftliche Berechtigungen und Wertungen gebunden, Zugänge zu bestimmten Berufen, Einkommensstufen, gesellschaftliche Funktionen und soziales Prestige“ (Klafki 1997: 983).
Damit wird zum einen die Bedeutung von Leistungszuschreibungen für die soziale Positionierung (Allokation) hervorgehoben. Zum anderen wird entgegen der reduzierten Sichtweise auf Leistung als primär individuelles Vermögen deutlich gemacht, dass Leistung vor allem davon abhängt, was gesellschaftlich darunter verstanden und als Leistung anerkannt wird. Denn Leistung stellt das einzige legitime Selektionsmittel in der gleichnamigen ‚Leistungsgesellschaft’ dar. Daher muss Leistung auch immer gerecht sein und ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit beinhalten, obschon sie selbst Ungleichheit produziert. Es können demnach nicht alle ‚das Gleiche’ leisten, da dies auf ‚Gleichmacherei’ hinauslaufen würde, so eine oft formulierte Kritik (s.u.). Insofern ist Leistung eine Art Differenzformel, weil sie systematische Unterschiede, eben Leistungsunterschiede von schwach/stark, besser/schlechter oder begabt/durchschnittlich produziert, was schließlich gesellschaftlich auch von ihr erwartet wird. Leistung wird durch bestimmte Normen, Kriterien, Zuschreibungen, Messmethoden und Bewertungen institutionell und gesellschaftlich konstruiert. Und in Schulen und Unternehmen, also auf der Ebene von Organisationen, sind es institutionell legitimierte Personen, die ein entsprechendes ‚Leistungs-Urteil’ verhängen dürfen wie etwa Lehrer_innen, die Noten geben oder Vorgesetzte, die Leistungen in einem Betrieb beurteilen. Zudem legitimiert die bereits einmal anerkannte Leistung ihrerseits die Leistungsträger_innen wie das Abiturzeugnis die Abiturient_innen, die Leitungsposition die Führungskräfte oder auch das gut platzierte Land im PISA-Ranking. In all diesen Fällen wird Leistung sowie gerechte Leistungsbewertung unterstellt, denn ‚unverdiente Leistung’ kann nach dem herrschenden leistungsethischen ‚meritokratischen Prinzip’ nicht anerkannt werden. Wie stark das erwähnte Gleichmacherei-Argument, mit dem ‚Gleichheit’ als prinzipiell unvereinbar mit Leistung angenommen wird, auch gerade in der Wissenschaft verankert ist, zeigt die bildungsökonomische Kritik an der Vorstellung einer „repräsentativen Chancengleichheit“. Es handle sich dabei um „ein ganz bestimmtes normatives Konzept von Chancengleichheit“ (Weishaupt/Weiß/v. Recum/Haug 1988: 151), das nicht nur ein fragwürdiges „Proporzdenken“ sei, sondern auch „Leistungsaspekte“ ausblenden würde:
„Soll das Leistungsprinzip das entscheidende Zuteilungskriterium für Bildungschancen sein, dann ist die Forderung nach gleichmäßiger Beteiligung dahingehend zu relativieren, dass sie an die Voraussetzung gleicher Leistung geknüpft wird (‚bedingte Chancengleichheit’)“ (ebd.).
Die (Forderung nach) Gleichheit wird damit prinzipiell unter Leistungsvorbehalt gestellt und Leistung zur zentralen unabhängigen Variablen gemacht. Intelligenz und deren Messung wird hierbei – nicht zum ersten Mal – zum untergehbaren Nullpunkt vorsozialer Naturausstattung des Individuums erklärt. Denn die Forderung, dass Intelligenz durch „sprachfreie’ Intelligenztests“ (ebd.) zu erfassen sei, impliziert die Annahme einer ‚reinen Intelligenz’, die sozialsprachlich nicht ‚kontaminiert’ sein darf. Gemessen werden solle daher bezeichnenderweise die vorsprachliche „Leistungsfähigkeit“ (ebd.: 152) als sozial unabhängiges, sprich: vorsprachliches Vermögen. Für die sozial schwachen, aber leistungsstarken Schüler_innen wird eine nachhaltigere Förderung empfohlen (ebd.). Auf der Ebene der Bildungsinstitutionen und des Lernens steht im Bildungssystem die Lernleistung im Vordergrund, die – so die Annahme – individuell erbracht und objektiv gemessen werden kann. Abgesehen davon, dass Unterricht, Seminare an der Hochschule, Kurse in der VHS oder eine berufliche Weiterbildung nicht unter Laborbedingungen stattfinden und die Gütekriterien für eine objektive Leistungsbeurteilung von vielen Variablen abhängen (z.B. Lernklima, Didaktik), wurden die unterschiedlichen familiären Voraussetzungen immer wieder kritisch gegen einen objektivistischen Leistungsbegriff geltend gemacht (Rolff 1997).
Ökonomisierung von Bildung im Zeichen von Leistung
Im Kontext bildungspolitischer Outputsteuerung seit Ende der 1990er Jahre rückt der Leistungsbegriff ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit und wird zum Hauptkriterium für die Bewertung von ‚Bildungsqualität’, die über Individuen hinaus nun auch Bildungsorganisationen erbringen müssen. Schulen und Universitäten werden somit selbst zu individualisierten Leistungsträgern, deren Leistung(en) etwa in Form von Evaluationen abgefragt und unterschieden werden können. Mit der bildungspolitischen Fokussierung auf diesen Aspekt wird Bildung nur noch an den vergleichbaren Resultaten eines (Bildungs-)Prozesses ge- und ermessen, die ein statisches Produktverständnis von Leistung implizieren. Leistung ist demnach der Wert, der nach vermeintlich objektiven Kriterien zu einem bestimmten Zeitpunkt bestimmt, d.h. gemessen und im Vergleich zu anderen Testteilnehmern ins Verhältnis gesetzt werden kann. Diese Übertragung des Leistungsbegriffs auf die Organisationsebene wurde durch die Theorien des Strukturfunktionalismus der 1950er Jahre und der System- und Organisationstheorie der 1960er Jahre ff. ermöglicht. Dass Organisationen eine ‚Leistung’ für die Gesellschaft erbringen, ist mittlerweile normalsprachlich geworden und es stellt die Voraussetzung dafür dar, dass diese Leistung auch geprüft werden können muss. Seit dem PISA-Schock stehen deutsche Schulen unter ‚Leistungsvorbehalt’. Auf die Suggestivität von PISA Rankings wurde in diesem Zusammenhang oft kritisch verwiesen, die eine Objektivität der Testung vorgeben, die nicht nur auf vielen problematischen Annahmen beruht (Jahnke/Meyerhöfer 2007), sondern auch den Glauben an eine rationalistisch-technokratische Steuerungsphilosophie nährt, die primär der Logik der Outputkontrolle folgt. Bildungssteuerung nach Leistungsindikatoren produziert den selektiven, primär leistungs- und outputorientierten Blick auf das Bildungssystem. Damit verschiebt sich insgesamt die gesellschaftliche Wahrnehmung von Bildung in Richtung eines vor allem Produkt- und outputorientierten Leistungssystems. Die ökonomisierenden Effekte dieser Entwicklung liegen also in der Vereinseitigung der Perspektive und den rationalistischen Vorstellungen von Bildung(ssteuerung), die damit evoziert werden. Sie drückt sich in der Wissenschaft nicht nur in der Wende zu einer auf Evidenz basierenden Bildungsforschung aus, die dem Ideal eindeutig und quantitativ bestimmbarer Wirkungszusammenhänge im Bereich pädagogischen Handelns folgt, sondern die diese Illusion für die gesamte empirische Bildungsforschung zum einzig gültigen Maßstab machen möchte. Eine grundlegende Kritik am Leistungsbegriff und an der Annahme, dass nur eine ‚Leistungsschule’ Schüler_innen auf die ‚Leistungsgesellschaft’ vorbereite, lässt sich mit Klafki in dreifacher Hinsicht formulieren: Zum einen wird die Annahme kritisiert, dass die soziale und berufliche Position, die jemand inne hat, alleine auf individueller Leistung beruhe; zu anderen kann bezweifelt werden, dass es „hinreichend eindeutige, für alle verbindliche und wohlbegründete Maßstäbe gäbe, an denen jene vermeintlichen Einzelleistungen gemessen“ würden und schließlich ist zu bezweifeln, dass jede(-r) prinzipiell die gleiche Chance der Leistungserbringung habe (Klafki 1997: 985). Wolfgang Klafki tritt für eine grundlegende Neubestimmung des pädagogischen Leistungsbegriffs in zweifacher Hinsicht ein: Zum einen solle gegenüber einem „vorwiegend individualistischen, auf den Wettbewerb , die Konkurrenz zwischen Einzelschulen abzielendes Verständnis von Leistung“ ein Leistungsverständnis entwickelt werden „zugunsten einer an gemeinsamer Aufgabenlösung und an der Solidarität lernender Gruppe orientierte Leitvorstellung“. Zum anderen wäre ein „Umdenken von einem vorwiegend ‚ergebnisorientierten’ Leistungsverständnis“ von Nöten, „das primär auf Leistungsresultate, schriftlich fixierte Normarbeiten, abfragbare Kenntnisse, automatisierte Fertigkeiten“ abziele, „zu einem dynamischen Leistungsbegriff“, bei dem die Resultate „auf ihren Entstehungsvorgang zurückbezogen“ werden sollten (ebd.). Eine solche Umstellung würde freilich nicht nur die Outputfixierung deutscher Bildungspolitik konterkarieren, sondern auch die damit verbundenen Selektionsentscheidungen in Frage stellen. Eine solche „Revision des Leistungsprinzips“ (ebd.: 986) würde nicht nur bildungspolitisch, sondern auch gesellschaftlich ein Umdenken voraussetzen.
Thomas Höhne
Literatur
- Itschert, Adrian (2013): Jenseits des Leistungsprinzips. Bielefeld: transcript.
- Jahnke, Thomas/ Meyerhöfer, Wolfram (2007): Pisa & Co. Kritik eines Programms. Hildesheim/Berlin: Franzbecker.
- Klafki, Wolfgang (1997): Leistung. In: Lenzen, Dieter (Hrsg.): Pädagogische Grundbegriffe (Bd.2). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 983-987.
- Rolff, Hans Günther (1997): Sozialisation und Auslese durch Schule. Weinheim: Juventa.
- Weishaupt, Horst/ Weiß, Manfred/ v. Recum, Hasso/ Haug, Rüdiger (1988): Perspektiven des Bildungswesens der Bundesrepublik Deutschland. Baden-Baden: Nomos.
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