Pädagogische Wertschöpfung

Zur Rationalisierung von Schulsystemen durch public-private-partnerships am Beispiel von PISA

Elisabeth Flitner

Worin gleichen sich Schulsysteme in aller Welt? Und warum gleichen sie sich? Diesen Fragen geht die Forschergruppe um John W. Meyer nach, deren neoinstitutionalistischer Ansatz als «Weltkultur»-Theorie bekannt geworden ist. Sie untersucht die Standardisierung von Schulsystemen in aller Welt und stellt fest, deren Ähnlichkeiten nähmen in dem Masse zu, in dem globale Schulmodelle über internationale Organisationen verbreitet würden (Meyer 2005). Zwei Thesen liegen den Arbeiten der «Weltkultur»-Forscher zugrunde:

  1. Die globale Verbreitung der Schule hänge vom Prozess des nationbuilding ab. Da dieser Prozess durch die Vorgaben internationaler Organisationen weltweit normiert sei, glichen einander auch die Schulsysteme der Staaten.
  2. Zwischen der Entwicklung von Schulsystemen und der wirtschaftlichen Entwicklung sei kein Zusammenhang nachweisbar. Bildungsökonomische Vorstellungen hielten einer empirischen Überprüfung im Weltmassstab nicht stand.

Die These b) versteht sich als Kritik an bildungsökonomischen Ideologien. Sie scheint aber nicht mehr ganz zuzutreffen. Denn heute befassen sich besonders die für ökonomische Liberalisierung zuständigen internationalen Organisationen wie die OECD und die Welthandelsorganisation (WTO) eindringlicher mit den Bildungssystemen aller Staaten als es die im Wesentlichen in den 1980er-Jahren entworfene «Weltkultur»-Theorie vorhersagen würde. Die Grenzen zwischen Politik und Wirtschaft verlagern sich. Staatliche Regierungen (governments) sind längst nur noch einer von mehreren Akteuren in der Herstellung politischer Ordnungen (governance), sodass auch die Polarisierung des «Weltkultur»-Ansatzes, der politiksoziologische und bildungsökonomische Erklärungen gegeneinander stellt, an Plausibilität verliert. Es gälte jetzt vielmehr, ihren Zusammenhang zu thematisieren. Die Bildungsökonomie selbst hat sich erweitert: Zu der im Rahmen des «Weltkultur»-Ansatzes untersuchten Frage, ob Bildungsindikatoren wie Schülerzahlen, Absolventenzahlen und Abschluss-Niveaus mit der Wirtschaftsentwicklung variieren, sind neue Themen hinzugekommen, besonders die Frage der Durchdringung staatlicher Schulsysteme mit unternehmerischen Führungsprinzipien und die Untersuchung der Entwicklung von «Schulmärkten».

Aus öffentlichen Schulsystemen, die im Windschatten der Ökonomie nach den Eigengesetzen staatlicher Einrichtungen funktionierten, sind inzwischen auch Felder wirtschaftlichen Handelns geworden, in denen Unternehmen beginnen, Arbeitsformen und pädagogische Beziehungen innerhalb der Schulen umzubauen, Schulsysteme in eine Vielzahl spezifischer Märkte zu zerlegen und einer ideellen und materiellen Privatisierung zuzuführen.

Dies will ich hier am Beispiel des «Programme for International Student Assessment» (PISA) illustrieren, einem gemeinsamen Projekt transnationaler privater Bildungsdienstleister mit der internationalen Organization for Economic Cooperation and Development OECD. Mit der Bildungssoziologie Max Webers gehe ich davon aus, dass «Erziehung» in allen Gesellschaften an der Entwicklung von Herrschafts- und Wirtschaftsformen partizipiert, sodass Veränderungen der Legitimation staatlicher Herrschaft immer auch in der Pädagogik zum Ausdruck kommen (Flitner 2001). Weber hat das in einem grossen Vergleich der «Wirtschaftsethik der Weltreligionen» historisch entwickelt, gelegentlich aber auch aktuelle Tendenzen der «Bürokratisierung» im Bildungswesen kommentiert, das zu Webers Lebenszeit, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, unter die Alleinherrschaft des Staates gelangt war. Daran will ich anknüpfen. Die These des Folgenden lautet, dass staatliche und private Organisationen, die im Schulsystem tätig werden, ihre jeweils typischen Führungsprinzipien in die Schulen übertragen. Staatliche Schulverwaltungen haben die hierarchischen Muster staatlicher Bürokratien, wie sie Max Weber analysierte, mithilfe eines elaborierten Prüfungswesens in die von ihnen verwalteten Schulen übertragen. Dagegen hilft PISA als Produkt privater Unternehmen, die Führungskriterien von Wirtschaftsbetrieben in der Form quantifizierender Erfolgsmessungen in die Schulen einzubauen. Kurz gesagt: Staatliche Bürokratien brachten die «Fachprüfung» in die Welt; private Unternehmen fügen den «Test» hinzu. Die standardisierte Messung von outcomes der Schule ist kultureller Ausdruck einer Verflechtung staatlicher und betriebswirtschaftlicher Führungskriterien, einer public- private-partnership, die sich in Schulsystemen weltweit etabliert.

In einem ersten Schritt sollen kurz die Unternehmen vorgestellt werden, die PISA entwickelt haben und durchführen, und das globale Wachstum der Testmärkte skizziert werden, an dem PISA partizipiert (1). Anschliessend will ich den internationalen sozialpolitischen Kontext von PISA bezeichnen (2) und die deutsche Ausnahme in der PISA-Rezeption erwähnen (3). Daran schliessen sich Überlegungen zur Rationalisierung der Schule an (4).

1.  Die PISA-Unternehmen

Aus bildungsökonomischer Sicht ist das Programme for International Student Assessment ein Produkt transnationaler Bildungsdienstleister, das staatlichen Schulverwaltungen rund um den Globus angeboten wird. Die deutschen PISA-Publikationen erwähnen fünf «Forschungseinrichtungen», welche die internationale PISA-Leitung bilden (Baumert/Stanat/Demmrich 2001, S. 62). Diese Bezeichnung lässt offen, dass es sich bei vier von ihnen um private Unternehmen handelt, educational assessment-Firmen, die PISA ent- wickelt und an bisher achtundfünfzig Staaten verkauft haben: Der Australian Council for Educational Research Ltd., Educational Testing Service und WESTAT Inc. aus den USA und die in den Niederlanden basierte CITO- Gruppe. Neben ihnen ist an der internationalen PISA-Leitung auch eine öffentliche Einrichtung beteiligt, das japanische Institut für bildungspolitische Forschung NIER, im Status etwa dem Deutschen Jugendinstitut vergleichbar.

Die Grossen unter den multinationalen Bildungsdienstleistern, wie diejenigen, die PISA anbieten, verfügen in der Regel über höhere Budgets, klarere Ziele, höhere Flexibilität, teilweise besseres Fachwissen und viel mehr internationale Erfahrung als Schulverwaltungen einzelner Staaten. Sie wirken, wie alle transnationalen Unternehmen, auf verschiedenen Ebenen als politische Akteure (Bolewski 2005): Erstens versuchen sie, durch Stellungnahmen, Seminar- und Kongressangebote und öffentlichkeitswirksame Aktionen den bildungspolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess zu beeinflussen; zweitens nehmen sie direkten Kontakt zu Regierungen auf, um ihre Interessen vorzutragen; drittens üben sie durch Verbindungen zu internationalen Organisationen Einfluss aus. Grossprojekte wie PISA über die OECD an einzelne Staaten zu vermitteln hat für die Anbieter den Vorzug, dass erstens die OECD als Zusammenschluss reicher Industrieländer die grössten Bildungsmärkte der Welt und zugleich eindrucksvolle Vorbilder auch für Nicht-OECD-Staaten repräsentiert, und zweitens, dass sie als Regierungsorganisation einen grösseren und stabileren Finanzierungsrahmen bietet als etwa die International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA), eine Nicht-Regierungsorganisation, unter deren Dach vorhergehende internationale Schülerleistungsvergleiche wie zum Beispiel TIMSS organisiert wurden1.

1.1  Australian Council for Educational Research Ltd.

Der Australian Council for Educational Research (ACER) ist für das internationale PISA-Management, Geschäftsführung und Auswertung der Daten aus allen teilnehmenden Staaten zuständig. In der PISA-Planung 1997/1998 belief sich ACERs OECD-Angebot für PISA 2000 auf knapp 10 Millionen US-Dollar, geringfügig unterboten von einem amerikanischen Konkurrenten (zum Folgenden Bottani/Vrignaud 2005, S. 56ff.). ACER war ein Anbieter mit weitgespannten internationalen Erfahrungen, ausgezeichneter diplomati- scher Vorarbeit innerhalb der OECD, der IEA und bei Partnerfirmen, guten Beziehungen in die UNESCO, überzeugenden Expertengruppen und dem Sympathievorsprung des australischen Kängurus gegenüber der Skepsis, die eine US-amerikanische Projektleitung in europäischen Schulverwaltungen wecken könnte. Vor allem aber bot ACER die besten Vorschläge zu zwei Ideen, die den Anforderungen der OECD entsprachen, über die bisherigen Konzepte der TIMSS-Forscher hinauszugehen, und die inzwischen zu den «Markenzeichen» von PISA geworden sind, nämlich (a) die Idee, «Kompetenzen» statt Schulleistungen zu messen, und (b) die Idee, PISA von vornherein mit drei «Schwerpunkten» zu versehen, die nicht in nur einer Studie sondern erst in drei aufeinanderfolgenden Studien als komplett bearbeitet gelten und so eine mindestens zweifache Wiederholung der Studie, also eine Art von PISA-Abonnement der beteiligten Staaten nahe legen und einen Gewöhnungsprozess unterstützen. Schliesslich sah ACERs Angebot einen Technologie-Transfer im Bereich der PISA-Methodik an ausgewählte Mitarbeiter in den OECD-Teilnehmerstaaten vor – ein Weiterbildungsprogramm für assessment-Experten, das sich im Urteil der Auswahlkommission von der Praxis anderer Firmen, ihre Methodik weitgehend als Geschäftsgeheimnis zu hüten, vielversprechend abhob.

PISA ist nur eines von zweiundsiebzig educational assessment-Projekten in aller Welt, die auf der ACER-homepage für 2005 beschrieben werden. Die ACER-Projekte umfass(t)en nationale und internationale Studien, darunter beispielsweise: Schools around the World, ein Mathematik- und Naturwissenschaftstest im 4., 8. und 10. Schuljahr in acht Staaten; TIMSS-Repeat, eine vierzig Staaten-Studie zur Entwicklung von Mathematik- und Naturwissenschaftsleistungen zwischen dem 4. und dem 8. Schuljahr, das Management der IEA-30-Staaten-Studie CivEd zu politischen Einstellungen 14-Jähriger; Beratung und Fortbildung im Bereich educational assessment and evaluation für Schulverwalter und Schulforscher aus den Fidji-Inseln, Malaysia, Papua Neuguinea, Sri Lanka, den Philippinen und Singapur; Aufbau eines Assessment-Systems im kambodschanischen Schulwesen; eine Studie zur Grundschullehrerausbildung in Vietnam; Lehrer-Evaluation in Bangkok; Beratung des chilenischen Erziehungsministeriums (das ab 2006 an PISA teilnehmen will), und andere.

Neben den internationalen Studien, die ACER im Auftrag internationaler Organisationen durchführt, liegt der regionale Schwerpunkt seiner Tätigkeit bisher in Australien und Südost-Asien; ein eigenes Büro besteht auch in Indien. Im Jahr 2004 konnte ACER einen neuen Standort in Dubai eröffnen, der als Ausgangspunkt der Geschäftsentwicklung im Mittleren Osten dienen soll. Die Pressemitteilung dazu betont die Grösse dieses Geschäfts und fügt hinzu, dass ACER mächtige US-amerikanische Konkurrenten aus dem Feld schlagen konnte: «ACER has signed a multi million dollar deal to develop aptitude testing for higher education selection in the United Arab Emirates (…) ACER had faced major competition from much larger US companies for the contract» (www.uac.acer.edu.au/12.9.2005).

ACERs Arbeit in den Vereinigten Arabischen Emiraten hat mit dem Aufbau eines Test-Systems für Schülerleistungen, National Assessment of Student Achievement and Progress begonnen, wird mit einem eigenen Programm zum Assessment for Private Schools fortgesetzt und wird einen Hochschuleingangstest für die UAE-Universitäten entwickeln, der ab 2009 eingesetzt werden soll.

1.2  WESTAT Inc.

Ein zweites Mitglied der PISA-Leitung, WESTAT Inc. in Rockville, MD stellt sich als «multimillion dollar corporation» und «one of the leading social science and survey research organizations in the world» vor und beschäftigt 2900 Angestellte (Homepage WESTAT). Das Unternehmen evaluiert überwiegend für öffentliche Auftraggeber – Familien-Erziehung, kindliche Entwicklung, Vorschulerziehung, Schulleistungen, Studienleistungen, Lehrerleistungen, Ausbildungs- und Hochschulleistungen, medizinische Probleme und Versuche, soziale Fragen und anderes und schreibt Government Reports für alle US-Ministerien.

WESTAT nimmt vom US Department of Education nicht nur Aufträge entgegen, sondern entwickelt seinerseits das politische Programm des Ministeriums in Form von Strategic Plans. Der Strategic Plan für die Regierungszeit der ersten Bush-Administration endet in der Form von vierspaltigen Tabellen. Diese benennen in Spalte (a) die bildungspolitischen Ziele, die das Ministerium verfolgen soll, in Spalte (b) den Ist-Zustand, geben (c) Mittel und Zeitpunkt der Planerfüllung an und nennen (d) die Evaluationsstudie, die zur Überprüfung der Zielerreichung in Auftrag gegeben werden soll. Jedes Ziel ist mit einem eigenen Evaluationsprogramm versehen.2

WESTAT ist einer der grössten Auftragnehmer des US Department of Education. Im Verzeichnis der laufenden Verträge des Education Depart- ment von 20043 sind für WESTAT Inc. beispielsweise 76 Millionen Dollar für National Assessment of Educational Progress – Sampling & Data Collection verzeichnet, 39,8 Millionen Dollar für eine Early Childhood Longitudinal Study, 31,7 Millionen Dollar für nicht weiter spezifizierte International Educational Assessment Activities, vergleichsweise bescheidene 6,18 Millionen Dollar für eine Explorationsstudie zu Teacher Quality Evaluation – Analysis, Needs Assessment and Data Collection, die etwas grössere Summe von 18,8 Millionen Dollar für The National Assessment of Adult Literacy, und weitere.

1.3  Educational Testing Service

Der Educational Testing Service, Princeton NJ ist ebenfalls Mitglied des Leitungsgremiums von PISA und hat zusätzlich den Vorsitz der Internationalen Expertengruppe für Lesen inne4. ETS stellt sich als «the world’s largest educational testing and measurement organization» mit 2600 Mitarbeitern vor (Landgraf 2002). Die Geschichte dieser Firma geht auf die Anfänge des Scolastic Aptitude Tests SAT zurück, mit dem die Harvard-Universität nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte, die oligarchische Rekrutierung ihrer Stu- dentenschaft durch die Gewinnung einer neuen Elite akademischer Talente zu überwinden. Scolastic Aptitude sollte über die Collegezulassung entscheiden. Der SAT hat sich als College-Zulassungstest in den USA flächende- ckend durchgesetzt5. Er gehört ETS, der ihn kontinuierlich entwickelt, durch- führt und grosse Pakete von Serviceleistungen rundherum anbietet – von SAT-Trainingskursen verschiedener Art zur Ergänzung der high-school– Bildung bis zur Einsendung der Bewerbungen an die Colleges. Ein anderer grosser Geschäftszweig sind TOEFL-Tests of English as Foreign Language, die überwiegend in der Industrie zur Prüfung von Englisch-Kenntnissen von Mitarbeitern eingesetzt werden.

Heute kontrolliert die non-profit-Organisation ETS viele einzelne for-prοfit-Unternehmen wie ETS K-12 Works, ETS Global Institute, ETS Europe, The Chauncey Group International, ETS Technologies Inc. und andere, die rund um den Globus in annähernd 200 Staaten präsent sind6. Auch ETS gehört zu den grossen Geschäftspartnern des US Departement of Education; er führt beispielsweise den Adult-Literacy and Lifeskills Survey ALL in einer noch nicht festgelegten Zahl von Staaten durch7. ETS macht öffentlich wahr- nehmbare Bildungspolitik und führt Meinungsumfragen dazu durch. Seine Vertreter treten im Rahmen zahlreicher business-led Think Tanks wie dem US Center for Educational Freedom, dem Cato Institute, dem Committee for Economic Development sowie im Rahmen nationaler und internationaler Regierungsorganisationen auf und fordern die Privatisierung der Entscheidungen über Schulsysteme8. Zwei Beispiele können die Breite der ETS- Engagements illustrieren, das eine aus der US-amerikanischen Lehrerausbildung, das andere aus der ETS-Politik in Georgien.

Beispiel Lehrerausbildung in den USA

Mit dem Higher Education Act von 1998 hat die Bush-Administration unter anderem ein Berichtssystem für die Lehrerausbildung vorgeschrieben, nach dem Hochschulen, Bundesstaaten und das Education Department jährliche Berichte über die Erfolge der Lehrerausbildung liefern müssen. Als eines der beiden Unternehmen, die diesen Teilmarkt kontrollieren, hat ETS 38 Bundesstaaten mit 501 Lehrerbildungseinrichtungen unter Vertrag (für Tests zahlen die Getesteten, für Entwicklungskosten und Berichte die Hochschulen, Staa- ten und die Bundesregierung). Die Lehramtsstudenten werden 1. auf Acade- mic Skills, 2. in einem Subject Assessment, in dem mehr als 140 Tests in 50 Bereichen zur Wahl stehen, auf Fachwissen und auf «Principles of Learning and Teaching» getestet, und 3. in Classroom Performance Assessments einer standardisierten Beobachtung ihrer praktischen Fähigkeiten unterzogen. Die Tests sind durch die Berichtspflicht gesetzlich vorgeschrieben, ihre Ergebnis- se gehen aber auch für den einzelnen Testling in die Erteilung der staatlichen Lehrbefugnis ein. – ETS hat im Jahr 1999/2000 auf diese Weise 60’400 Lehramtskandidaten, im folgenden Jahr 54′ 350 Kandidaten getestet. Die Forderung, die ETS in einer Anhörung der US-Regierungskommission zur Verbesserung der Lehrerausbildung erhebt, lautet, es sei dringend erforderlich, die Tests zwischen den Bundesstaaten und Hochschulen weiter zu vereinheitlichen, um Vergleichbarkeiten zu verbessern, sowie weitere Tests und Berichtssysteme zu entwickeln, um eine «100 Percent Quality Control Policy» verwirklichen zu können (Landgraf 2002).

Beispiel Georgien

ETS berät Bildungs- und Forschungsministerien in Lateinamerika, im Mittleren Osten, in Russland, Polen, Litauen, Rumänien, Serbien, Mazedonien, Georgien und anderen Staaten. Im prowestlich orientierten Georgien, das seine sanfte Revolution im Jahr 2003 erlebt hat und seinen Staatshaushalt gegenwärtig zur Hälfte aus internationalen Beiträgen speist (Zürcher 2005), hilft ETS heute zusammen mit American Councils und der US-Botschaft dabei, ein National Assessment and Examination Center (NAEC) einzurichten9. Die erste Leistung von ETS bestand in der Übersetzung ihres Scholastic Aptitude Tests SAT und der Einführung einer Hochschulzugangsprüfung auf dessen Grundlage. Im Mai 2005 waren 32’000 georgische Studienplatzbewerber für den SAT eingeschrieben, der im Juli durchgeführt werden sollte. Die 17’000 Besten sollen einen voucher erhalten, der ihnen die Wahl zwischen fünf georgischen Universitäten eröffnet (The Christian Science Monitor, 5.5.2005). Noch sind die Bewerber die neue Form der Verknappung öffentlicher Leistungen nicht gewöhnt; eine georgische Journalistin erhielt anlässlich des Bush-Besuchs in Georgien im Mai 2005 Gelegenheit, im Christian Science Monitor zu berichten, dass seit März 2005 Gymnasiasten in Tiflis Hungerstreiks für die Erhaltung eines freien Zugangs zu den Universitäten organisierten, und dass die Eingänge des NAEC-Büros rund um die Uhr von bewaffneten Wachleuten geschützt würden, ebenso wie die Transporte der Test-Hefte, die im Ausland gedruckt und ausgewertet werden10. Ähnliche Vorhaben von ETS sind in Rumänien, Litauen und Polen in Arbeit11.

1.4  CITOGROEP

Auch das vierte Unternehmen der PISA-Leitung, die CITO-Gruppe, ist ein global player: «Cito, based in the Netherlands, is one of the world’s leading testing and assessment companies» (Homepage Citogroep, 9.9.2005). CITO hat «an der Entwicklung der PISA-Studie massgeblich mitgewirkt» (Homepage Cito Deutschland GmbH, 9.9.2005). Für CITOs internationalen Bereich beraten gut 500 Mitarbeiter Behörden, Bildungseinrichtungen und Unternehmen in Aserbeidschan, Tschechien, Georgien, Griechenland, Ungarn, Mazedonien, Malaysia, Polen, Rumänien, Russland, Südafrika, Tanzania und anderen, insgesamt dreissig Staaten. Entstanden aus einer öffentlichen Einrichtung, von der nach der Privatisierung noch der Name The Netherlands National Institute for Educational Measurement übrig ist, bietet CITO auch pädagogische Materialien verschiedener Art an: Schulungsprogramme für Erwachsene, Kindergarten-Programme für frühkindliche Entwicklung, CITO- Sprachentests für Kinder im Vorschulalter und ein Monitoring System zur regelmässigen Erfassung des individuellen Lernstands von Schülern. CITO hat Tochterunternehmen in den USA und seit 2004 auch in Deutschland; in der deutschsprachigen Selbstdarstellung wirbt die Firma mit den guten PISA- Ergebnissen der Niederlande.

Als erstes Projekt für die deutsche CITO wird die Vermarktung des Sprachentests für Vorschulkinder genannt; dann soll das Kindergartenprogramm Pyramid Method folgen. Dabei handelt es sich um einen Kindergarten-Lehrgang für Kinder zwischen 3 und 6 Jahren, welcher «the gifts of head, heart and hand» entwickeln hilft. «The introduction of the Pyramid Method in the German educational market is planned for January 1, 2005» (Homepage CITO Deutschland, englische Version, 9.9.2005); eine Erprobungsphase habe in Wiesbaden stattgefunden.

PISAs wirtschaftlicher Erfolg im engeren Sinn besteht in der Schaffung und Erschliessung staatlicher Nachfrage für Schulleistungstests. Dabei handelt es sich um einen globalen Wachstumsmarkt mit eindrucksvollen Zuwachsraten in vier Dimensionen:

  • Erstens können die OECD und die Firmen, die PISA entwickelt haben, zunehmend mehr Schulverwaltungen auch in Nicht-OECD-Staaten zur Teilnahme gewinnen. Waren an PISA 2000 erst 32 Staaten beteiligt, so werden es für PISA 2006 voraussichtlich schon 58 Staaten sein, darunter zahlreiche Staaten wie Kirgisien, Kasachstan, Aserbeidschan oder Chile, Uruguay und Kolumbien, die nicht Mitglieder der OECD sind und ohne eigenen Zugang zur Methodik nur als zahlende Kunden teilnehmen12.
  • Zweitens gelingt es in vielen Staaten, die Schulverwaltungen von umfangreichen Zusatz-Angeboten zum internationalen Basis-Programm zu überzeugen – in Deutschland beispielsweise sind das bisher grosse Bundesländer-Ergänzungsstudien (PISA-E), zusätzliche nationale Tests für die international von PISA untersuchten Leistungsbereiche Leseverständnis, Mathematik, Naturwissenschaften, Zusatztests für Problemlösen, selbstreguliertes Lernen und Kontextbedingungen von Schulleistungen sowie, für PISA 2006, Zusatz-Studien zur Standardisierung von Normen des Mathematik-Unterrichts. Manche der deutschen Zusatzmodule sind im Land hergestellt; andere Extras werden international angeboten. Für PISA 2006 beispielweise erging an alle teilnehmenden Staaten das Angebot, dem Basisprogramm eine Elternbefragung hinzuzufügen.
  • Drittens ist die zeitliche Entgrenzung des Testens beschlossene Sache in allen Schulverwaltungen, die künftig auf output-Steuerung setzen wollen. Mit einmaligem assessment ist es dann nicht mehr getan; die Verwaltungen werden zu Dauerkunden privater oder staatlicher Test-Industrien. Als Beispiel für die Dynamik zeitlicher Entgrenzung mag TIMSS stehen. TIMSS 1994/1995 trug die Zahl drei im Namen (Third International Mathematics and Science Study), wurde dann als TIMSS-Repeat in vierzig Ländern fortgesetzt, wo sie eigentlich schon FIMSS, Fourth International Mathematics and Science Study hätte heissen können, blieb aber bei dem eingeführten Kürzel TIMSS, das inzwischen Trends in Mathematics and Science Study bedeutet, und wurde eine Dauerstudie, die beispielsweise in den USA im Dreijahresrhythmus fortgeführt wird. Die Fortsetzung von PISA als Dauerstudie im Dreijahresrhythmus ist ebenfalls geplant13.
  • Als vierte Dimension ist die thematische Ausdehnung des Testens zu nennen. Hier sind Weiterentwicklungen in Arbeit. Beispielsweise beschäftigt die OECD seit 1999 eine interdisziplinäre Gruppe von Psychologen, Anthropologen, Philosophen, Erziehungswissenschaftern und Ökonomen, welche die übergreifenden Kompetenzen «Using Tools Interactively», «Interacting in Heterogeneous Groups» und «Acting Autono- mously» definiert hat, die in einer kommenden internationalen Student- Assessment-Serie evaluiert werden sollen.14

2.  PISA im sozialpolitischen Kontext

Bildungsstatistik im internationalen Vergleich war bis in die 1980er-Jahre überwiegend eine Sache der UNESCO als UN-Organisation der Kultusminister. Die OECD beobachtet Bildungspolitiken ebenfalls seit den 1960er-Jahren, engagierte sich aber mit eigenen educational measurement-Projekten erst im Lauf der 1990er-Jahre im Zusammenhang ihrer Deregulierungspolitik15. Seit dieser Zeit finden im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) und im Rahmen der OECD Verhandlungen um die Erweiterung des General Agreement on Trade of Services beziehungsweise um ergänzende Abkommen statt. Sie haben das Ziel, Handelsschranken für den internationalen Handel mit Dienstleistungen wie etwa die oft zitierten Handwerksleistungen, aber auch juristische, medizinische, kulturelle oder pädagogische Dienstleistungen abzubauen. Im Gegenzug dazu bemüht sich zur gleichen Zeit die UNESCO und das internationale Netzwerk der Kultusminister INCP (International Network on Cultural Policy) um die Entwicklung eines internationalen Abkommens «zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen». Mit diesem Abkommen wollen sich die Kultusministerien ein völkerrechtliches Instrument zum Schutz ihres Gestaltungsspielraums in der öffentlichen Kulturförderung schaffen (Bernecker 2005). Strittig ist die Frage, ob kulturelle Güter und Dienstleistungen allein durch die Brille des Handelsrechts, also als Waren, definiert werden sollen, wie es WTO und OECD fordern, oder ob sie individuelle und nationalkulturelle Werte repräsentieren können, die auch öffentlich geschützt und gefördert werden können, wie es die UNESCO vertritt16.

Aus der Sicht von WTO und OECD ist die Förderung einzelner kultureller Akteure mit Steuermitteln – in Deutschland beispielsweise die Filmförderung, der Betrieb öffentlicher Rundfunkanstalten, die Buchpreisbindung, aber grundsätzlich auch die Bevorzugung öffentlicher gegenüber privaten Schulträgern – als staatliche Subvention, damit als Wettbewerbsverzerrung und Handelsschranke gegenüber internationalen Investoren angreifbar. Nationale Sonderregeln, Qualitäts- und Qualifikationsnormen, Zugangsbeschränkungen, aber auch die gezielte öffentliche Bezuschussung ausgewählter Anbieter nach kulturellen Kriterien gelten ihnen als Hindernis für die globale Selbstregulierung der Märkte. Staaten sollen künftig nicht mehr öffentliche Struktu- ren schaffen und betreiben, sondern nur über gesetzliche Regelungen freie Märkte gewährleisten, auf denen die individuellen Interessenten Anbieter treffen, zwischen denen sie wählen können. Steering not rowing lautet die prägnante Kurzbezeichnung für die Funktionen, auf die sich staatliches Handeln künftig konzentrieren soll. Das Motto unterstellt, dass Staaten sich bisher in Aufgabenbereichen betätigt hätten, in denen sie fehl am Platz sind, und dass sie dabei ineffizient gearbeitet und die unternehmerische Intiative gebremst hätten. Dieser Kritik entsprechend verwandeln sich – zunächst konzeptuell – auch Schulsysteme in einen Dienstleistungsmarkt. Von zusammenhängenden öffentlichen Organisationen werden sie in eine Vielzahl einzelner Dienstleistungen zerlegt, die auf dem freien Markt angeboten werden können. Die WTO-Verhandlungen etwa unterteilen educational services in

«Schulleitung», «Verwaltung», «Lehrplanentwicklung», «Assessment and Testing», «Beratung», «pädagogische Dokumentation», «Verlage», «online-Dienste», «Akkreditierung» und andere, jeweils spezialisiert für die Ebenen primary, secondary, higher und adult education (Vinokur 2005).

Zur Information ihrer Kunden – staatlicher Aufsichtsbehörden und individueller Marktteilnehmer – werden Bildungsdienstleister die Einhaltung von Produkt- und Prozess-Normen nachweisen müssen, die den Normen der International Organization for Standardisation (ISO) für die industrielle Produktion nachgebildet sind (Vinokur 2005). Ihre Marktzulassung oder sonstige staatliche Anerkennung soll an den regelmässig zu führenden Nachweis von «Prozessqualität» (Schulqualität) und «Produktqualität» (Kompetenzen von Schülern) gebunden sein; sie setzt damit stetige Test- und Berichtstätigkeit des Anbieters voraus17.

Ein zweiter bedeutsamer bildungspolitischer Einfluss geht von dem Methoden-Wandel der europäischen Innenpolitik aus, der von den europäischen Regierungschefs mit den Lissabonner Vereinbarungen im März 2000 beschlossen wurde. Vertragsgemäss ist die EU-Regierung in Brüssel ausschliesslich für die Schaffung eines gemeinsamen Marktes, für Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik zuständig, nicht aber für Sozialpolitik. Die innenpolitischen Voraussetzungen und Folgen des gemeinsamen Marktes, die politisch sensiblen Fragen des Sozialstaats – Arbeitsmarkt, Gesundheit, Renten, Bildung – müssen im Inneren jedes Mitgliedsstaates angesichts der verschiedenen wohlfahrtsstaatlichen Traditionen, die den jeweiligen Wählern wichtig sind, verschieden bearbeitet werden. Der Vereinheitlichung von Brüssel aus ist hier eine Schranke gesetzt; die Brüsseler Verfahren der Harmonisierung und Integration by law können nicht greifen. Die Lissabonner Beschlüsse konstruieren deshalb einen alternativen Modus der Integration, die Open Method of Coordination (OMC), welche den Regierungen der Mitgliedsstaaten ermöglichen soll, ihre Sozialpolitiken von unterschiedlichen Voraussetzungen her gleichsinnig zu entwickeln. OMC besteht aus einer Familie von Verfahren, die Wettbewerb und wechselseitige Kontrolle zwischen den Mitgliedsstaaten herstellen sollen. Von ihnen erwarten sich die Regierungschefs vereinheitlichende Wirkungen in den Bereichen, die sich über EU-Regularien nicht regieren lassen. Im Zentrum dieser Verfahren stehen

  1. die Definition von Leitlinien für die Sozialpolitik der EU-Staaten, kombiniert mit Zeitplänen für die Erreichung kurz-, mittel- und langfristiger goals, Ziele;
  2. die Etablierung qualitativer und quantitativer Indikatoren und benchmarks, die helfen, die jeweils «Weltbesten» und «Europabesten» zu ermitteln und deren best practice zum Massstab wechselseitiger und internationaler Evaluationen zu machen;
  3. die Übertragung der europäischen Leitlinien in nationale und regionale Politiken mithilfe von spezifischen Teilzielen und Anpassungsmassnahmen, die vorliegende nationale und regionale Differenzen in Rechnung stellen;
  4. periodische Kontrollen, Evaluationen und peer reviews als Prozesse des mutual learning, des Voneinander-Lernens der Regierungen (EU-Kommission 2002; Dale 2005)18.

Die Bedeutung dieser Verfahren für die Bildungspolitik liegt sicher nicht darin, dass sie geeignet wären, Europas Schulen einander in allen Dingen ähnlich zu machen. Sie sollen gerade, umgekehrt, lokale Differenzen in der Umsetzung der Leitlinien berücksichtigen. Die Bedeutung der Open Method of Coordination liegt hauptsächlich darin, dass sie die «Spielregeln» für die Entstehung bildungspolitischer Entscheidungen innerhalb der Mitgliedstaaten verändert, also deren politische Kulturen. Zum Bezugsrahmen der Politik wird der internationale Vergleich. Die Zahlen, aus denen PISA-Ergebnisse bestehen, oder die Bildungsindikatoren der OECD sind Resultate komplexer methodologischer Entscheidungen, die immer zugleich als politische Entscheidungen im Inneren von Expertenkommissionen auf mehreren Entste- hungsebenen verhandelt werden; es sind Zahlen, die nur Wenige nachvollziehen oder erklären können, die sie nicht selbst mit verfertigt haben. Aber als Zahlen sind sie geduldig und jeder Deutung zugänglich, und als Rangreihen präsentiert scheinen sie wie von sich aus einen Druck zu erzeugen, der politisch genutzt werden kann und genutzt wird. PISA-Werte und OECD- Bildungsindikatoren sind darum geeignete Mittel der «Externalisierung». Sie ersetzen politische Begründungen durch den Verweis auf ausländische Konkurrenten.

Schon in der Einleitung zur ersten deutschsprachigen PISA-Publikation schrieb beispielsweise der Vorsitzende des deutschen PISA-Beirats, in Deutschland habe das Testen keine Tradition, um fortzufahren: «Hier haben andere Länder einen Vorsprung, den es aufzuholen gilt» (Lange 2001, S. 13). Eine Begründung dafür erfolgt nicht. Wen einholen, solange Deutschland Exportweltmeister und europäische Industriemacht Nummer 1 ist?19 Warum im Testen aufholen? Solche auf politische oder pädagogische Begründungen zielenden Rückfragen können mithilfe von Verweisen auf die ausländische Konkurrenz leichter ausgeschlossen werden, die PISA-Zahlen mit suggestivem Einsatz von Bildern eines internationalen Wettlaufs skandalisiert werden. Internationale Vergleichstests und Indikatoren eignen sich zur «Exter- nalisierung» bildungspolitischer Entscheidungen auf eine supranationale Ebene und unterstützen einen Prozess, den Claus Offe als unlearning, als «Verlernen» etablierter Muster der politischen Auseinandersetzung und Abbau bisheriger Institutionen politischer Entscheidungsfindung innerhalb der Mitgliedstaaten bezeichnet hat20. Durch benchmarking, das heisst internationale Standardvorgaben mit dem Verweis auf quantitativ festgestellte best practice (zum Beispiel «Finnland hat die höchsten PISA-Testwerte, also vermutlich das beste Schulsystem») und die öffentliche Anprangerung von Nachzüglern oder Versagern – naming and shaming – kann die Reformdebatte innerhalb der Mitgliedsstaaten so gerahmt werden, dass Alternativen zu einem dominanten Diskurs wie objektiv ausgeschlossen erscheinen. Die Open Method of Coordination über assessments, quantitative Vergleiche, Indikatoren, benchmarking und peer review and pressure kann demnach als flexibles Steuerungsinstrument betrachtet werden, das den Regierungen der Mitgliedstaaten erlauben soll, sich in politisch sensiblen Bereichen der Transformation des Sozialstaats auf Unterschiede nationaler und regionaler Art einzustellen, inländische «Reformwiderstände» zu überwinden, und zugleich dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen europäischen Politikraums näher-zukommen. Die bisherige europäische «Integration by law» wird durch eine Koordination durch vereinbarte Verfahren ergänzt.

3.  PISA in Deutschland

In den einzelnen Teilnehmerstaaten wird PISA im Auftrag von Schulverwaltungen mithilfe kleiner Gruppen einheimischer Experten von den genannten Unternehmen unter der Leitung von ACER durchgeführt. Die PISA- Ergebnisse werden als Informationen für die Schulverwaltungen und einen kleinen Kreis von Fachleuten behandelt, von diesen in knapper Form oder auch gar nicht veröffentlicht und von der breiteren Öffentlichkeit, auch der Fachöffentlichkeit, kaum zur Kenntnis genommen21.

Die deutsche PISA-Rezeption verlief anders. In Deutschland bestand bis zur Jahrtausendwende kein nennenswerter Testmarkt im öffentlichen Schulsystem; Deutschland beteiligte sich unregelmässig an internationalen educational assessments und deren Ergebnisse wurden nur einem kleinen Kreis von Fachleuten bekannt. Dem deutschen Teil von PISA wurde von der OECD besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Als OECD-Projektverantwortlicher für PISA ist ein Deutscher tätig. Während sich die OECD grundsätzlich mit bildungspolitischen Empfehlungen an einzelne Staaten zurückhält, hat dieser sich entschieden, die Debatte in Deutschland immer wieder zu beleben, indem er in öffentlichen Stellungnahmen den Kampf mit der Kultusministerkonferenz um die Deutungshoheit über die PISA-Ergebnisse aufnimmt. Er unterstützt damit die Medienarbeit, die in Deutschland für PISA gemacht wurde22. Zugleich aber stört diese Form der Intervention vonseiten der OECD das Arbeitsbündnis zwischen deutschen Kultusministerien und PISA-Direktoren. Diese können kein Interesse daran haben, dass die deutschen Kultusminister ihre bildungspolitische Souveränität durch PISA eingeschränkt sehen. Zwar ist die nationale und regionale kulturpolitische Souveränität überall im Schwinden begriffen. Aber ihr Abbau im Einzelnen ist kein konfliktfreier Vorgang. Die Kultusministerien als Auftraggeber der PISA-Studien willigen mit jeder Fortsetzung und Ausweitung der Test-Projekte in den Aufbau einer zweiten Aufsichtsinstanz über das Schulsystem ein, – einer international orientierten wissenschaftlichen Instanz, die ausserhalb der minis- teriellen Weisungshierarchie steht. Sie willigen ein, sich künftig von Aussenstehenden sagen zu lassen, was ihre Verwaltungen und ihre Schulen taugen. Diese Kröte kann zwar im Namen einer Verbesserung der Schulaufsicht geschluckt werden. Aber der Prozess des unlearning bleibt delikat.

Die Brücke, auf der die Vertreter von Forschung und Verwaltung zueinander kommen, kann also nicht in bildungspolitischen Kontroversen über die praktischen Konsequenzen der PISA-Ergebnisse bestehen. Das Arbeitsbündnis beruht eher auf Institutionen, die Max Weber als Charakteristika «bürokratischer Herrschaft» bezeichnet hat: Auf strikter «Kompetenzspaltung» zwischen wissenschaftlicher Indikatorenproduktion und politischer Indikatorendeutung, sowie auf dem «Amtsgeheimnis» (Weber 1921, S. 573)23. Als bewährtes Mittel jeder Verwaltung, auch jeder Schulverwaltung – von der Zurückhaltung neuer Dienstanweisungen, die erst nach Beginn der Schulferien zu publizieren sind, über die Geheimhaltung verschiedenster Zahlen und Pläne bis zum bestgehüteten Geheimnis Berliner Grundschulen: welche Lehrerinnen im nächsten Schuljahr die ersten Klassen übernehmen werden – stützt das Dienstgeheimnis, hier: die Zusage der PISA-Forscher, bestimmte Forschungsergebnisse nur mit ihren Auftraggebern zu teilen, Instrumente und Rohdaten nicht an Unbefugte weiterzugeben, sich an politische Termine und Sperrfristen zu halten, und anderes, die Kontrollüberzeugung in den Kultusverwaltungen. Die neue Aufsichtsinstanz ausserhalb der Hierarchie wirkt kontrollierbar. Nur selten dringt ein Dissens an die Öffentlichkeit, wenn etwa einzelne Kultusministerien sich gegen erneute Publikationen ungünstiger PISA-Ergebnisse verwahren wollen24, während PISA-Forscher nach OECD- Grundsätzen auf der Veröffentlichung wichtiger Erkenntnisse beharren25.

Auch die Beteiligung einer grossen Zahl einheimischer Professoren an PISA-Zusatz-, Ergänzungs- und Fortsetzungsstudien ist eine deutsche Besonderheit. Hier wurden schon in der Vorbereitung der ersten PISA-Welle, PISA 2000, zahlreiche empirische Bildungsforscher, führende Erziehungswissenschafter verschiedener Sektionen der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft und namhafte Mitglieder der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in einer oder mehreren Funktionen als Mitglieder eines nationalen PISA-Konsortiums, als ausführende Forscher, als Experten oder als wissenschaftliche Beiräte an PISA beteiligt (Deutsches PISA-Konsortium 2001, S. 61ff.). Sie trugen zur Bekanntheit und Anerkennung von PISA bei. PISA-Ergebnisse gelangten in die meisten deutschen Zeitungen und zogen in Presse-, Radio-, Fernsehberichten und Internetdiskussionen über längere Zeiträume fast täglich öffentliche Aufmerksamkeit auf sich26.

Ideenpolitisch wurde PISA in Deutschland im internationalen Vergleich besonders erfolgreich27. Seit der Publikation der ersten PISA-Ergebnisse hat sich hier ein breiter Konsens zur «Umsteuerung» des Schulsystems hergestellt. Zwischen bildungspolitischen Akteuren wächst das Einverständnis darüber, dass die Schulen in Deutschland reformiert werden müssen und können. Unternehmerverbände erkennen die Bildungssteuerung als wichtige Aufgabe des Staates. Schulverwaltungen erwarten, mithilfe standardisierter Leistungsmessungen die Aufsicht über die Schulen zu verbessern. Für Schulforscher hat sich PISA zu einem «einzigartigen Programm des Wissenstransfers zwischen Forschungseinrichtungen der ganzen Welt entwickelt» (Baumert/Stanat/Demmrich 2001, S. 62). «New generations of educational scientists» (Klieme u.a. 2003, S. 132) wurden ausgebildet.

So vielfältig die Reformideen sind, die an PISA anknüpfen, haben sie doch einen gemeinsamen Kern in der Forderung nach einer Verbesserung der öffentlichen Kontrolle der Schulen in Gestalt einer Ergänzung des schulischen Prüfungswesens durch Tests. Der Konsens geht dahin, dass Schulen künftig an ihren outcomes in Form testbarer Schülerleistungen gemessen werden sollen; dass sie nicht mehr Lehrpläne sondern künftig Bildungspläne haben sollen, die ihre Anforderungen bereits als Standardvorgaben für kommende assessments formulieren; dass alle Schüler aller Schulformen in bestimmten Abständen standardisierten Leistungsmessungen unterzogen werden sollen; dass Kinder bereits vor ihrem Eintritt in die Pflichtschule getestet werden sollen, und dass die Kultusministerkonferenz ein Institut gründen solle, in dem Test-Instrumente staatlicher und privater Anbieter für die deutschen Schulen gesammelt, geprüft, und entwickelt werden können28. Der kleinste gemeinsame Nenner der ideenpolitischen Erfolge von PISA besteht darin, die Vorstellung eines Dauerbedarfs der Schulverwaltungen an standardisierter Leistungsmessung in der deutschen Bildungspolitik verankert zu haben. Im Schulsystem ist damit ideell und materiell ein Test-Markt entstanden.

4.  Rationalisierung der Schule

Die output-Steuerung, die in Deutschland mit PISA einsetzt, soll helfen, die Qualität und die Quantität des Bildungsangebots zu steigern, ohne die öffentlichen Haushalte zusätzlich zu belasten – anders wären die Forschungs- und Entwicklungsausgaben, die sie den Kultusministerien abverlangt, angesichts der Finanzkrise des Staates gar nicht legitimierbar. Zwar sehen die Lissabonner Vereinbarungen eine Steigerung des Anteils der Bildungsausgaben am BIP der Mitgliedsstaaten vor. Damit ist jedoch nicht eine Steigerung öffentlicher Bildungsausgaben gemeint sondern die Steigerung der Anteile, die von privaten Investoren und von den Bildungsinteressenten selbst aufgebracht werden (EU-Kommission 2002, Ziel 1.5 «Ressourcen-Nutzung optimieren»). In ausgewählten Bereichen soll der Rückzug des Staates neue Märkte schaffen. Beispiele dafür finden sich inzwischen in Deutschland zahlreich. Derzeit entlastet beispielweise die Abschaffung der Lernmittelfreiheit die klammen öffentlichen Haushalte, überträgt die Kosten für Lernmittel auf die Familien der Schüler und stellt damit Schulbuch-Verlagen eine Markterweiterung in Aussicht. Im Rahmen von Modellprojekten zur «selbständigen Schule» findet das Bertelsmann-Programmpaket «SEIS» in Lehrerkollegien gute Resonanz und wird in vielen Bundesländern den Schulen von Bertelsmann und Vertre- tern der Schulaufsicht gemeinsam angeboten29. Währenddessen wendet die Studiengemeinschaft Darmstadt, ein Fernlehr-Unternehmen der Klett- Gruppe, sich den Schülern zu: Sie stellte im März 2005 mittels Emnid-Um- frage fest, dass 39% der über 14-Jährigen Schüler in Deutschland sagen, sie könnten sich für Fernlehrkurse interessieren30. Diesem Interesse kommt bereits ein gemeinsames Projekt der Schulbuch-Verlage Cornelsen und Klett mit IBM-Deutschland und dem Nordrhein-Westfälischen Bildungsministerium entgegen («Selbständiges Lernen macht Schule»), das in 170 NRW- Schulen durchgeführt wird mit dem Nebeneffekt, dass die Schüler bei «kurzfristiger Erkrankung eines Lehrers» in «Selbstlernphasen» mithilfe elektronischer Medien ohne ihn weiterarbeiten können31.

Die Angebote der Unternehmen erschliessen neue Schulmärkte, stellen eine Dynamisierung des Lehrens und Lernens und Einsparungen bei den Personalkosten in Aussicht. Grundsätzlich würde PISA ermöglichen, das gesamte Schulangebot für den Markt zu öffnen. Denn regelmässige Erfolgsmessungen machen die «pädagogische Produktivität» von Schulsystemen und von Einzelschulen, also das Verhältnis ihrer Kosten zu ihren in PISA- Kompetenzen gemessenen Erträgen vergleichbar. Wenn hier nur die Kosten der öffentlichen Hand betrachtet werden, müssten Privatschulen besser abschneiden als staatliche, weil es ihnen mit etwas Schüler-Training nicht schwer fallen kann, bei weniger öffentlichen Zuwendungen mindestens gleiche Test-Leistungen wie Schulen in staatlicher Trägerschaft zu erbringen32. Damit würde zum ersten Mal seit einem langen Jahrhundert – in Deutschland seit dem «Kulturkampf» des 19. Jahrhunderts – der Betrieb von Schulen in staatlicher Trägerschaft wieder prinzipiell rechtfertigungspflichtig. Es würde im Einzelnen begründungsbedürftig, warum Schulen in staatlicher Trägerschaft bleiben sollen, wenn es Anbieter gibt, die zeigen können, dass sie kostengünstiger arbeiten.

Von einer Deregulierung oder «Schulautonomie», selbstständigen Personalpolitik und Kosten-Nutzen-Rechnung der Schulen, die durch Beschränkung der Schulaufsicht auf output-Kontrollen heute möglich wäre, sind allerdings die Schulverwaltungen in Deutschland im internationalen Vergleich besonders weit entfernt. Die Zahl der Vorschriften an die Schulen nimmt gegenwärtig nicht ab sondern zu; die «Regelungsdichte» steigt. In Deutschland kommt es zu einer Hybridbildung von alten und neuen Formen der Aussenlenkung von Schulen, einer Überlagerung und Kombination detaillierter input-Verwaltung mit gelegentlichen output-Kontrollen. Die mögliche Deregulierung trifft in den Strukturen, Denkmustern und internen Konflikten der Schulverwaltungen der Bundesländer auf viel grössere Hindernise als in den Einzelschulen. Die Mehrzahl der Bildungsverwaltungen sind noch nach Querschnittaufgaben so strukturiert, dass die einzelnen Schulen hier keinen Ansprechpartner finden, der für ihre Gesamtentwicklung zuständig wäre, ohne in seinen Entscheidungen an eine verwaltungsinterne Übermacht von Mit- und Gegenspielern und deshalb auch in seinen Äusserungen gegenüber den Schulen immer an Gesichtspunkte des eigenen, hausinternen Machter- halts gebunden zu sein. Zu einer Freisetzung von Eigeninitiative der Schulen in der Verbesserung ihres «Diensts am Kunden» können assessments nichts beitragen, solange deren Ergebnisse jeweils zehn konkurrierende Referate zu zehn neuen Verordnungen inspirieren; Voraussetzung für eine produktive Nutzung von assessments wären Reformen der Schulverwaltungen, die auf den Bedarf autonomer Schulen an Serviceleistungen der Ministerien zugeschnitten sind.

Literatur

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Fußnoten


1 Nach dem Bericht ihres ehemaligen Präsidenten, Tiana, hätte die IEA eine grosse Studie wie TIMSS ohne starke politische und ökonomische Unterstützung der USA gar nicht schultern können (zit. nach Cytermann/Demeuse 2005, S. 4). TIMSS sollte in den
USA einen ver- gleichbaren medialen und politischen Erfolg erleben wie später PISA in Deutschland (Stei- ner-Khamsi 2003).
2  Als Archivmaterial unter www.ed.gov/pubs/StratPln/app-a-4.html (15.9.2005)
3  www.ed.gov/fund/data/report/contracts/activesbyvendor.pdf (15.9.2005)
4 Damit ist unter anderem die (Weiter-)Verwendung von ETS-Entwicklungen in PISA gesi- chert. Für den Schwerpunkt «Lesen» wurden beispielsweise 34 ETS-Items aus dem Interna- tional Adult Literacy Survey IALS von 1994 in die PISA-Fragebögen übernommen (Ver- zeichnis in Bottani/Vrignaud 2005, S. 125).
5  Die Teilnahme kostet den Studienplatzbewerber zwischen 150 und 250 US-Dollar.
6 Der Sitz der Firma ist längst nicht mehr in Princeton sondern in Ewing NJ, die an die Elite- Universität erinnernde Adresse nur noch ein mit der amerikanischen Post vereinbarter Aspekt der Imagepflege.
7  In den Jahren 2000 bis 2005 wurde ETS von Kurt Landgraf geleitet, der vorher als CEO von
DuPont Europe für die Geschäftsbereiche Biotechnologie, Global Life Science, Consumer Health, Biotechnology und Pharmaceuticals in Europa, Afrika und im Mittleren Osten zu- ständig war und seit August 2005 ein kalifornisches Bauunternehmen führt (Internet via
«Kurt Landgraf»).
8  www.mediguide.com/popup/aboutus-kurtlandgraf.htm (10.9.2005)
«If you look around at economic competitiveness, at the number of people who vote, if you look at the massive underclasses we are developing in this country, something needs to be done. Those decision need to be taken away from the political realm. People who understand the educational funding delivery function have to make those decisions». Kurt Landgraf, Beitrag zur Tagung des Committee for Economic Development Investing in Learning. School Funding Policies to Foster High Performance, New York 8.6.2005 (homepage Committee for Economic Development, 10.9.2005).
9   Goggle: «Timothy Blauveldt», Director American Councils Georgia, Field Officer ETS and NAEC (8.9.2005).
10 Der Hochschulzugang konnte bislang von Seiten der Studienplatzbewerber selbst über die Entrichtung von Bestechungsgeldern an die Beamten der Zulassungsstellen geregelt werden. Das jährliche Aufkommen dieser Eintrittsgelder wird von ETS auf 10 Millionen US-Dollar geschätzt. Ob der Hochschulzugang für die Studierwilligen gerechter wird, wenn diese Summe künftig in die USA fliesst, oder nur teurer, falls sich alte und neue Kosten addieren, wird vom Typus der governance abhängen, die künftig in Georgien etabliert werden kann (Zürcher 2005; Risse 2005).
11 Homepage ETS oder google: «Steven Bakker, managing Director ETS Europe». – Eine Kooperation mit der FU Berlin, mit der ETS in seiner Selbstdarstellung noch wirbt, ist nach Auskunft der FU nicht befriedigend verlaufen. Die FU hatte ein Instrument zur Dozenten- Evaluation erworben (ca. 25’000.– Euro) war aber unzufrieden mit der Übersetzung und mit den Komplikationen des Datentransfers in die USA; ETS überlässt den Kunden nur Ergebnisfiles, keine Rohdaten. Die Auskunft verdanke ich Dr. M. Fiezko, FU Berlin.
12 Die Teilnahmekosten variieren. Das französische Erziehungsministerium beziffert seine Kosten für die Teilnahme an der ersten PISA-Welle, PISA 2000, – das Basis-Programm ohne Zusatzstudien – mit ca. 750’000 US Dollar (Bottani/Vrignaud 2005, S. 78). Darin sind die overhead-Kosten für ACER und die Kosten für die Durchführung der Studie in Frankreich zusammengefasst.
13 PISA-surveys «will probably continue to be conducted every three years after 2003» (Klie- me u.a. 2003, S. 130). Der Dreijahres-Rhythmus erklärt sich aus dem heutigen Zeitbedarf eines Produktionszyklus für large-scale-assessments.
14 Der Bericht der OECD-Expertengruppe DeSeCo, Definition and Selection of Competences, wurde Anfang 2005 vorgelegt (Volltext im Netz unter «OECD-DeSeCo»).
15 Die erste von der OECD organisierte educational-assessment-Studie war die International Adult Literacy Study IALS von 1994 – ein Probelauf zunächst an Erwachsenen; die zweite dann PISA im Pflichtschulbereich.
16 Ein Rechtsgutachten im Auftrag der Deutschen UNESCO-Kommission dazu, Auswirkungen des GATS auf Instrumente der Kulturpolitik und Kulturförderung in Deutschland (Krajewski 2005), findet sich unter www.unesco.de/c_arbeitsgebiete/kkv_gutachten.pdf
17 Die in Genf ansässige ISO vertreibt eine 83-seitige Leitlinie zur Anwendung der ISO-Norm 9001 im Bildungsbereich «IWA 2: 2003, Quality management systems – Guidelines for the application of ISO 9001:2000 in education» (www.iso.org).
18 Die Open Method of Coordination entspricht den Verfahren der OECD: «Dialogue, consensus, peer review and pressure are at the very heart of OECD» (OECD-Homepage). Die Lissabonner Beschlüsse werden im SPD-Programm «Agenda 2010» aufgenommen.
19 «Gute Infrastruktur, erstklassig ausgebildete Fachkräfte» lobt zum Beispiel der Vizepräsi- dent der Amerikanischen Handelskammer in Deutschland den Standort Deutschland, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6.9.2005.
20 «Such ‹unlearning› may in fact be the main purpose of the OMC, or its hidden curriculum. The main purpose of this method of policy-making seems to be that of bringing home to member states‘ political elites and constituencies the need for ‹modernization› and ‹recali- bration› of their hitherto adopted arrangements of social security, industrial relations and la- bour market policies» (Offe 2003, S. 463).
21 US-amerikanischen Kollegen, die viele andere Testprogramme kennen, französischen und spanischen Kollegen, die wenige Testprogramme kennen, muss eventuell bis heute erklärt werden, was PISA ist.
22 Das Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, in dem eine ganze Abteilung an PISA mitarbeitete, konnte für PISA zeitweilig einen eigenen Pressereferenten beschäftigen.
23 «Bürokratische Verwaltung ist ihrer Tendenz nach stets Verwaltung mit Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Bürokratie verbirgt ihr Wissen und Tun vor der Kritik, soweit sie irgend kann» (Weber 1921, S. 572).
24 Die Welt vom 26.8.2005 berichtet unter dem Titel «Wir haben nichts zu verbergen – Kontroverse über neue Pisa-Studie – Offenlegung gefordert» von einem solchen Einspruch des schleswig-holsteinischen Kultusministeriums und dem Protest des IPN-Direktors Manfred Prenzel dagegen.
25 Die Rückwirkungen des Amtsgeheimnisses auf die Kommunikationskultur der beteiligten Forschungsinstitute würden eine eigene wissenschaftssoziologische Studie rechtfertigen.
Das Kieler PISA-Forschungsinstitut IPN beispielsweise gleicht nach Auskunft seines Direktors «inzwischen einem Hochsicherheitstrakt, die Türen sind stets verschlossen, die Rechner mit mehreren Passwörtern geschützt, Dateien werden nur verschlüsselt an Kollegen und Ministerialbeamte geschickt» (Süddeutsche Zeitung vom 14.7. 2005).
26 Die Analyse des Medien-Echos bei der Publikation der OECD-Bildungs-Indikatoren Education at a Glance von 2004 kann den deutschen Sonderfall illustrieren. Zur Erscheinung von Education at a Glance Mitte September 2004 hielt die OECD Pressekonferenzen unter anderem in Washington, Paris und Berlin ab. In ihrer sieben Wochen später publizierten Presse-Übersicht dazu umfassen die französischen Zeitungs-, Rundfunk- und Fernseh-Echos 16 Seiten, die US-amerikanischen ganze 9 Seiten, die deutschen aber 206 Seiten (OECD 2004). Über die Erhebungs- und Auswertungsmethode für die Presse-Echos liegen keine Informationen vor.
27 Steiner-Khamsi (2003) vergleicht den deutschen Medienerfolg von PISA mit dem der etwa gleichzeitig publizierten CivEd-Studie, einer internationalen Untersuchung der politischen Einstellungen 14-Jähriger, in der deutsche Jugendliche teils internationale Extremwerte in ihren Einstellungen zu Immigranten zeigten. Deren Ergebnisse hätten sich nach Steiner- Khamsi zur Skandalisierung geeignet, sind aber fast unbekannt geblieben.
28 Das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen an der Humboldt-Universität Berlin besteht seit 2004.
29 Homepage Bertelsmann: Programm SEIS, «Selbstevaluation von Schulen». Es handelt sich um ein betriebliches «Qualitätsmanagementsystem», das den Erfordernissen von Schulen angepasst wurde.
30  Homepage Studiengemeinschaft Darmstadt.
31 Homepage Nordrhein-Westfalen, «Bildungsportal». Mit «abitur-online», für das NRW Schullizenzen und Lernplattformen finanziert, können bis 25% des Unterrichts durch
«Selbstlernen» ersetzt werden.
32 Nach einer Studie von Baumert u.a. an den deutschen Hauptschulen und Gymnasien genügt eine Woche PISA-Training im Unterricht, um einen «substantiellen» Zuwachs der Test-Ergebnisse zu erzeugen (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 2005, S. 100f.).

Aus: Oelkers, Jürgen (Hrsg.); Casale, Rita (Hrsg.); Horlacher, Rebekka (Hrsg.); Klee, Sabina Larcher (Hrsg.): Rationalisierung und Bildung bei Max Weber. Beiträge zur Historischen Bildungsforschung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt (2006) S. 245-266

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