Qualität

PISA zu Anfang der Jahrtausendwende bildete einen Anlass, die Leistungsfähigkeit und damit die Qualität des deutschen Schul- und Bildungssystems insgesamt in Frage zu stellen. Jedoch zeigt ein genauerer Blick auf den Qualitätsdiskurs im Bildungsbereich, dass dieser bereits in den 1990er Jahren anhob und PISA für die Entwicklung dieses Diskurses eher einen Katalysator darstellt als einen Ausgangspunkt. Dennoch stellt sich die Frage, warum und mit welcher Zielsetzung in den letzten zwei Jahrzehnten das Problem der Bildungsqualität bildungspolitisch und wissenschaftlich derart prominent wurde?

Zur Beantwortung dieser Frage lassen sich mehrere Gründe anführen. So wird als ein Grund auf den paradigmatischen Stellenwert des Qualitätskonzepts für das Bildungssystem hingewiesen, der in der „Umstellung der in den 60er und 70er Jahren dominierenden vier Leitkonzepte Quantität, Egalität, Staat und Wissenschaft auf Qualität, Exzellenz, Markt und Evaluation“ gesehen wird (Terhart 2000: 810, Fn. 1). Wir haben es also mit einer breiten Diskursverschiebung im Kontext der Veränderung von Staat(lichkeit) und normativen Vorstellungen sowie mit Praktiken der Kontrolle zu tun. Im Rahmen dieser vielfältigen Veränderungen wird bildungspolitisch ein spezifischer Qualitätsbegriff lanciert, der sich wesentlich an Vorstellungen, Instrumentarien und Maßnahmen aus dem Bereich betrieblicher Organisationsentwicklung anlehnt (ebd.: 820). Semantische Verknüpfungen, die im bildungspolitischen Diskurs hergestellt werden, wie ‚Personalentwicklung’, ‚Organisationsentwicklung’, ‚Qualitätsentwicklung’ und ‚Qualitätssicherung’ machen die betriebswirtschaftlich-ökonomische Ausrichtung des vertretenen Qualitätskonzept deutlich, die den Diskurs schließlich flächendeckend vor allem seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre prägt:

„Die vermehrte und mittlerweile epidemische Bezugnahme auf ‚Qualität’ bzw. auf die entsprechenden Wortverbindungen hat ihren semantischen Ursprung nicht in der öffentlichen oder fachinternen Bildungsdiskussion selbst, sondern stellt eine begriffliche Adaption aus dem Bereich der Organisationstheorie, der Arbeitswissenschaften sowie v.a. verschiedener Strategiemodelle aus den anwendungsbezogenen Managementwissenschaften (Arbeitsorganisation, Personalführung, Prozesssteuerung) dar. Bis 1992 bildete ‚Qualitätssicherung’ die Sammelbezeichnung für alle qualitätsbezogenen Maßnahmen und Strategien; seitdem ist das umfassendere ‚Qualitätsmanagement’ zum Oberbegriff geworden (…). Qualitätsdenken und mit ihm die Qualitätswissenschaften haben eine Dynamik entfaltet, die sich zunehmend auf bislang von Managementkonzepten sowie Kosten-Nutzen-Kalkülen noch nicht erfasste Wissens- und Handlungsbereich ausdehnt. Hierzu gehören auch alle staatlichen oder halbstaatlichen Leistungen und Einrichtungen – und nicht zuletzt auch das gesamte Sozial- und Bildungswesen“ (Helmke/Hornstein/Terhart 2000:7).

Die politische ‚Qualitätsoffensive’ der 1990er Jahre beschränkt sich somit nicht auf den Bildungsbereich, sondern steht für einen Politikwechsel insgesamt, mit dem Ziel, staatliche Politik und Verwaltung leistungsfähiger zu gestalten. Was den Bildungsbereich selbst betrifft, so lässt sich die Diskursentwicklung der 1990er Jahre folgendermaßen noch weiter differenzieren:

„Gestützt durch die bottom-up-Strategie für Schulentwicklung erhält die zu Beginn der 1990er Jahre analytisch orientierte Diskussion um Qualität von Schule eine normative Wendung. Vormalige Deskriptoren von Schulqualität werden zu Aufgabenelementen der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung. Mit Blick auf den Prozess von Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung adaptiert und erprobt werden Ansätze und Modelle von Organisationsentwicklung und Organisationsberatung; ihnen folgt kurzzeitig später die Rezeption der sie im Unternehmensbereich leitenden Konzepte des Total-Quality-Management sowie des Lean-Management.“ (Zedler 2000: 23).

Doch eine bruchlose 1:1-Übertragung von Qualitätskonzepten aus dem standardisierten Produktbereich ist nicht möglich. So entsteht für die Qualitätsdebatte im Bildungsbereich ein grundlegendes Problem, weil sie

„im Unterschied zur Qualitätssicherung im betrieblichen Bereich offen lässt, an welchen Normen die Produkt- und Prozessqualität gemessen werden soll. Im Kontext der teils auch als ‚Entwicklung von Schulkultur’ zusammengebundenen Innovationselemente erhält das Thema Personal- und Mitarbeiterführung bei Schulleitung und Schulaufsicht eine eigene reformpolitische Bedeutung (…). Unter der sich zum Leitthema der Optimierung herauskristallisierenden ‚Qualitätssicherung’ werden ab Mitte der 1990er Jahre auch die Befunde der Schuleffektivitätsforschung interpretiert“ (ebd.: 23 f.).

Diese Beobachtung ist deshalb interessant, weil sie die Entwicklung der gegenwärtigen Bildungsreform deutlich macht: Zuerst scheint der öffentliche Druck die normative Richtung der Reformdebatte vorgegeben zu haben, bevor bildungspolitisch die Strukturen für die Umsetzung geschaffen werden. Denn gemeinsam mit den verstärkten Qualitätsforderungen wird ein Diskurs über Autonomie bzw. Schulautonomie entfaltet, der sich im Verlauf der 1990er Jahre zur zentralen Leitlinie übergreifender Schulgesetzgebung entwickelt.

Im Verlauf der 1990er Jahre wurden Schulen zunehmend aufgefordert, sich als „eigenständige Schulen“ zu begreifen und sehen sich darüber hinaus und zunehmend mit der „Aufforderung zur ‚Organisationsentwicklung’“ mit dem Ziel, „sich selbst zu managen und weiterzuentwickeln“ konfrontiert (Rürup/Heinrich 2007: 176). Anders als in den 1960er Jahren bedeutet die Öffnung der Schule nun, Kooperationen mit privaten und wirtschaftlichen Akteuren einzugehen und beispielsweise aktiv Gelder einzuwerben, weshalb zu diesem Zeitpunkt Sponsoring als Möglichkeit der privaten Bildungsfinanzierung eingeführt wird. Insgesamt ist dies bildungspolitisch gerahmt durch eine „auf einzelschulischer Accountability aufbauende Strategie gesamtsystemischer Qualitätsentwicklung“:

„Gerade der Wandel von ‚Schulautonomie’ als einzelschulischer Organisationsentwicklung zu einer gesamtsystemischen Strategie der Qualitätsentwicklung erscheint hierbei als tiefgreifender Einschnitt, der einzelschulisch offen lässt, ob er inhaltlich überhaupt zureichend wahrgenommen bzw. als sinnvolle Ergänzung und Fortführung früherer Reforminitiativen angesehen wird“ (ebd.: 178)

In dieser Phase der Transformation ist der Schulautonomiediskurs durch diesen „tiefgreifenden Einschnitt“ und durch

“eine stärkere externe Standardisierung sowohl der einzelschulischen Rechenschaftslegung (zentrale Lernstanderhebung, Schulinspektion) als auch Verfahren der Reflexionsaufforderung (schulübergreifender Benotungsvergleich, Parallelarbeiten) bestimmt“ (ebd.: 173).

Qualitätsentwicklung meint also vor allem Standardisierung zum Zweck einer Outputsteuerung in der Art eines bildungspolitischen Controllings. Bildungsberichte, Bildungsstandards und die regelmäßige Erhebung von Daten qua Evaluationen stellen hierfür zentrale Instrumente dieser neuen „Politik der Qualität“ (Höhne/Schreck 2009: 35) dar.

Wichtige Impulse zu dieser Art der Qualitätspolitik kamen seit den 1980er Jahren auch von der OECD, die als Wirtschafts- und Entwicklungsorganisation für eine ökonomische Ausrichtung des Bildungssystems steht. Nach Einschätzung von George Papadopoulos stellte die Debatte zum Thema „Entwicklung der Humanressourcen“ zu Anfang der 1980er Jahre „ein harmloses Geplänkel im Vergleich zur Debatte über die ‚Qualität in der Bildung’“ dar (Papadopoulos 1996: 210). So wurde 1983 das „Internationale Schulentwicklungsprojekt“ (International School Improvement Project, ISIP) ins Leben gerufen, wofür die Initiative vor allem von den Niederlanden ausging, die auch 14 weitere Projekte innerhalb des ISIP finanzierten, bei denen es um Schulentwicklung, die Verbesserung von Leitungsstrukturen, um die Bedeutung von Large-Scale-Untersuchungen für den Entwicklungsprozess und um die Instrumente der Umsetzung – vor allem der Evaluation – ging. Aufgrund der dezentralen Struktur des hochgradig privatisierten Bildungssystems in den Niederlanden (Privatschulanteil von ca. 70 %) „eignete es sich hervorragend für einen solchen schulzentrierten Ansatz“ zur Verbesserung der Schulqualität (Papadopoulos 1996: 223). Damit ist die Richtung der angezielten Reform beschrieben, denn die Dezentralisierung ist ein entscheidender Schritt zur Deregulierung und Privatisierung des Schulsystems.

Der deutschsprachige Qualitätsdiskurs hat sich seit Mitte der 1990er Jahre von der pädagogischen Akzentsetzung wegentwickelt hin zu einer Orientierung an Methoden, Instrumenten und Ansätzen aus dem Bereich des Managements. Der Qualitätsbegriff wird hierbei im Rahmen der Autonomie der einzelnen Schule oder Hochschule, also auf der Ebene der Einzelorganisation stark gemacht. Er zielt primär auf die Organisationsentwicklung und auf die Übertragung unternehmerischer Praktiken in den Bildungsbereich ab. Das normative Leitbild von Bildungspolitik und Teilen der Wissenschaft ist das einer starken, erfolgreichen und autonomen Schule, die am Markt der Möglichkeiten ihre Potentiale selbst entwickelt.

Was für ein Unternehmen, das für diese Art der Qualitätspolitik Vorbild ist, adäquat ist, muss es aber nicht für eine Bildungsinstitution sein. Kritisch zu beurteilen an der Qualitätsorientierung ist der unreflektierte Transfer von Theorien der Organisationsentwicklung, Instrumenten des Managements und der Unternehmenssteuerung auf Bildungseinrichtungen aus mehreren Gründen. Zum einen wird bildungspolitisch unterstellt, dass das System nur unter Rückgriff auf mehr Wettbewerb zu reformieren sei, weshalb die ‚Schule als Unternehmen’ quasi die notwendige Schlussfolgerung und das Management by objectives das Mittel der Wahl sei: Zielvereinbarungen, Evaluationen als regelmäßige Qualitätskontrolle usw.. Zum anderen wird davon ausgegangen, dass sich die Qualität von Bildungseinrichtungen an Output- und Leistungsindikatoren messen ließe. Dies ist aufgrund der vielfältigen Funktionen, die Bildung hat, eine höchst fragwürdige Verengung des Blicks auf Bildung(-seinrichtungen) und ihre gesellschaftlichen Funktionen. So eine bildungspolitisch erzeugte kompetitive Monokultur im Bildungsbereich als zentrales Anreizsystem lässt zudem die nicht intendierten Nebeneffekte außen vor, die eine wettbewerbsgetriebene Ordnung, ein Markt, auch immer erzeugt (z.B. Reformwiderstände, Verstärkung von Ungleichheit zwischen Schulen). In dem Sinne wirkt die Qualitätsdiskussion wie ein Flaschenhals, durch den die Bildungsinstitutionen in der Bestimmung ihres ‚realen Bildungswertes’ durchgezogen werden – und dabei gibt es stets Gewinner und Verlierer.

Thomas Höhne

Literatur

Helmke, Andreas/Hornstein, Walter/Terhart, Ewald (2000): Qualität und Qualitätssicherung im Bildungsbereich. In: Zeitschrift für Pädagogik. Qualität und Qualitätssicherung im Bildungsbereich: Schule, Sozialpädagogik, Hochschule. 41. Beiheft. S. 7-16

Höhne, Thomas/Schreck, Bruno (2009): Private Akteure im Bildungsbereich. Weinheim/München: Juventa.

Papadopoulos, Georg S. (1996): Die Entwicklung des Bildungswesens von 1960 bis 1990: der Beitrag der OECD. Frankfurt/Main u.a.: Peter Lang

Rürup, Matthias/Heinrich, Martin (2007): Schulen unter Zugzwang – Die Schulautonomiegesetzgebung der deutschen Länder als Rahmen der Schulentwicklung. In: Altrichter, Herbert/Brüsemeister, Thomas/Wissinger, Jochen (Hg.):. Educational Governance. Handlungskoordination und Steuerung im Bildungssystem. Bd. 1. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften, S. 157-183

Terhart, Ewald (2000): Qualität und Qualitätssicherung im Schulsystem. Hintergründe – Konzepte – Probleme. In: Zeitschrift für Pädagogik, 46. Jg., Nr. 6, S. 809-829.

Zedler, Peter (2000): Wandlungen des Reformdiskurses. In: Krüger, Heinz-Herrmann/Wenzel, Hartmut (Hg.): Schule zwischen Effektivität und sozialer Verantwortung. Opladen: Leske+Budrich, S. 15-44

Download als PDF