Stiftungen

Stiftungen boomen seit den 1990er Jahren und erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Dass sie keine demokratisch gewählten Vertreter sind, sondern in feudal-dynastischer Weise nur dem einzigen Stifterwillen verpflichtet sind, dass sie oftmals Nebenprodukte großer wirtschaftlicher Unternehmen sind und nach wenig transparenten Kriterien nur ‚ihre’ Politik verfolgen, dass sie in partikularer Weise vermeintlich gemeinwohlorientierte Ziele verfolgen, all dies hat ihrem guten Ruf keinen Abbruch getan. Sie werden als neue Vorbild-Akteure einer politisch aktiven Zivilgesellschaft gefeiert und stellen gleichzeitig ein vormodernes feudales Relikt persönlicher Wohlfahrt dar. Wie erklärt sich diese Widersprüchlichkeit eines Akteurs, der zunehmend Einfluss im Bildungsbereich gewinnt?

Stiftungen verwischen als Akteure im Bildungswesen die Grenzen zwischen Zivilgesellschaft, Staat und Markt und sind bei genauerer Betrachtung Motor von Ökonomisierungsprozessen. Sie stützen – entgegen dem allgemeinen Verständnis – dabei hegemoniale Positionen, induzieren Marktzwänge in vormals nicht ökonomische Felder und prägen durch diskursive Strategien die öffentliche Meinung nachhaltig.

Stiftungen wirken beispielsweise in Private-Public-Partnerships aktiv an der Umstrukturierung des Bildungswesens mit, indem ihnen vormals staatliche Aufgaben übertragen werden. Der beachtliche Erfolg ist auf zwei Ursachen zurückzuführen: erstens die öffentliche Wahrnehmung von Stiftungen als gemeinwohlorientierte Akteure sowie zweitens eine unzureichende Kontrolle der Verwendung von Stiftungsgeldern bzw. deren Anspruch auf Gemeinnützigkeit. Indiz für die Fortsetzung dieses „Stiftungsbooms“ ist die am 01. Oktober 2006 beschlossene Engagementstrategie der Bundesregierung, welche eine verbesserte Zusammenarbeit von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft anstrebt, sowie eine stetige rechtliche Besserstellung von Stiftungen in den vergangenen Jahrzehnten.

Die Zahl der jährlichen Stiftungsgründungen stieg von 181 im Jahr 1990 auf 1.134 2007 (Statistisches Bundesamt 2011: 12f). Dabei sind etwa 25 % der knapp 19.000 Stiftungen in Deutschland im Bereich Bildung und Wissenschaft tätig (ebd.). Unter anderem lässt sich dieses rasante Wachstum durch eine stetige staatliche Besserstellung von Stiftungen in den vergangenen 30 Jahren erklären, gerade in Form von steuerrechtlichen Privilegien – für die sich, wie sich im Folgenden zeigen wird, nur schwer gute Gründe finden lassen (Vgl. Adloff 2011). Nach § 52 GG erhalten Stiftungen steuerliche Privilegien, wenn sie „gemeinnützige Zwecke“ verfolgen, d.h. „ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.“

Seit den 1990er Jahren kam es zu einer Reform des Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrechts, welches Stiftungen systematisch besser stellte (gerade auch im Vergleich zu Vereinen) und „im Jahr 2000 wurden die steuerlichen Absetzungsmöglichkeiten für Stifter vergrößert. 2002 folgte eine Reform der zivilrechtlichen Rahmenbedingungen durch eine Novellierung der einschlägigen Abschnitte des Bürgerlichen Gesetzbuches“ (Adloff 2011: 56f.). Weiter kam es zu einer „Anhebung des Höchstbetrags für die Ausstattung von Stiftungen mit Kapital. Die Höchstgrenzen für den steuerlichen Spendenabzug wurden umgestaltet. Der Spendenabzug wurde dabei erheblich vereinfacht und ausgeweitet. Zuletzt drückte die Bundesregierung 2007 den Wunsch nach mehr Kooperation zwischen Staat, Markt und Stiftungen im vom Bundesministerium des Inneren veröffentlichten Papier zur nationalen Engagementstrategie der Bundesregierung aus. Wenn die Bundesregierung hierin Stiftungen als „richtungweisende Impulsgeber für die Innovation und Entwicklung in unserer Gesellschaft“ (Bundesministerium des Inneren 2011: 4) oder „Unternehmen und Stiftungen“ als „wichtige Partner des Bundes, der Länder und Kommunen und der Bürgergesellschaft“ (ebd.: 60) betrachtet und behandelt, wird die enge Verwebung der Akteure deutlich. Pointiert im genannten Positionspapier: „Die Bundesregierung strebt strategische Partnerschaften mit Stiftungen an.“ (ebd.: 61)

Mit welchem Selbstbewusstsein sich Stiftungen in dieser Konstellationen Staat –  Markt – Zivilgesellschaft positionieren, wird schnell (exemplarisch) am Beispiel Bertelsmann Stiftung und deren aufschlussreiche Publikation „Die Kunst des Reformierens“ deutlich. Mit Verve wird hierbei die sich selbst zugesprochene und weiter nicht legitimierte Rolle als Reformmoter vertreten. Aus dieser Reformatorposition heraus wird etwa

„die Effektivität staatlicher Entscheidungsproduktion generell in Frage gestellt. Da sich moderne Gesellschaften im Zeitalter der Denationalisierung angeblich nur noch über Netzwerke, gesellschaftliche Selbststeuerung oder andere, jenseits des Staates operierende „Governance“- Strukturen regieren lassen, werden Regierungen bzw. staatliche Akteure nur noch als Randfiguren betrachtet.“ (Bertelsmann Stiftung 2009: 12)

Stiftungen sind nur schwer auf gemeinsame verbindliche Eigenschaften hin zu definieren, so verbindet sie als gemeinsames Merkmal schließlich nur ihre Bindung an den bei Gründung festgelegten Stifterwillen, welcher den „Zweck und Wirkungsrahmen“ (Adloff 2011: 55) der Stiftung bestimmen soll. Dieser Stifterwillen ist selbstdefiniert, oftmals äußerst vage und weitläufig formuliert und muss auch nicht in Einklang mit dem tatsächlichen Handeln der Stiftung stehen, da dies in Deutschland vollkommen unzureichend geprüft wird. So gelten 98% der Stiftungen in Deutschland nach rechtlichem Status als gemeinnützig. (Adloff 2011: 56). Stiftungen genießen ein sehr hohes Ansehen in der Öffentlichkeit, nicht zuletzt, da ihnen „Unabhängigkeit, Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit […] unreflektiert unterstellt“ wird. (Adloff 2011: 55)

Stiftungen verfügen in einem weiten Sinne über vielfältige Formen von Kapital. Nicht nur über ökonomisches, sondern auch über soziales Kapital (Beziehungen, Netzwerke), kulturelles Kapital (Expertise) und durch ihr allgemein hohes Ansehen transformieren sie ökonomisches in symbolisches Kapital. Sie wirken heute in vielfältiger Weise im Bildungswesen mit und nahezu jede größere (Unternehmens-)Stiftung beteiligt sich an Projekten, welche das Bildungswesen betreffen.

Als eindrucksvolles Beispiel für die ökonomisierende Wirkung von Stiftungen auf das Bildungswesen soll skizzenhaft auf das schulpolitische Engagement der Bertelsmann Stiftung durch die Initiative „Selbstevaluation in Schulen“ (SEIS) eingegangen werden (vgl. hierfür im Folgenden Höhne 2013 und Höhne/Schreck 2009). SEIS ist ein gemeinschaftliches Projekt der Bertelsmann Stiftung mit den Landesregierungen der Bundesländer, das u.a. auf rechtlich bindenden Kooperationsvereinbarungen beruht. Aufwind erhielt die Initiative durch die unterdurchschnittlichen PISA Ergebnisse Deutschlands und der bildungspolitischen Forderung nach verbesserter „Qualität“ und mehr Effizienz/Effektivität im Schulwesen. Der Stiftung wurden in den Kooperationsvereinbarungen weitreichende Eingriffsrechte in die bildungspolitische (Mit-) Steuerung der beteiligten Projektschulen ermöglicht (Höhne/Schreck 2009: 238). So hat die Bertelsmann Stiftung nicht nur ein Evaluationsinstrument für die interne Evaluation von Schulen nach schottischem Vorbild entwickelt, sondern ihr wurde auch die Datenerhebung und –auswertung sowie die Rückmeldung an die einzelnen Schulen übertragen. Mittlerweile werden im SEIS-Konsortium mehr als 10% der deutschen Schulen mit SEIS evaluiert. Im gewissen Sinne ist ein solches Vorgehen politischer Akteure, die einem privaten Akteur derart viele Rechte einräumen, einmalig und wirkt wie ein Dammbruch. Denn es wurde mit der Evaluation nicht nur ein zentrales bildungspolitisches Steuerungsmittel privatisiert, d.h. einem privaten Anbieter rechtlich übertragen. Es wurde der Stiftung auch die flächendeckende Akkumulation von Daten ermöglicht – hochsensibler Daten, die Aussagen über Anlage, Entwicklungsmöglichkeiten, Stärken und Schwächen der Schulen zulassen sollen. Kennt man andere Bertelsmannprodukte, wie den Transformationsindex, dann lässt sich mutmaßen, dass Daten dieser Art nicht ungenutzt bleiben, sondern zu Einflussnahmen- und Steuerungszwecken verwendet werden. Die erhobenen Schuldaten durch Bertelsmann sind einzigartig und könnten die Grundlage für einen eigenen ‚Bildungsindex’ à la Bertelsmann bilden. De facto wie de jure wurde mit Erhebung sowie auch der Auswertung der Daten durch Bertelsmann „bildungspolitische Verantwortung und staatlicher Steuerungskompetenz ‘ausgelagert’“ (Höhne 2013).

Weiter war die Stiftung am Management und der Projektsteuerung beteiligt und stellte darüber hinaus umfangreiche Instrumente zur Umsetzung zur Verfügung, zu denen neben personellem Einsatz und Beratung auch die Handbücher, Handreichungen als Gebrauchsanweisungen für SEIS und eine ‘Toolbox’ für Multiplikatoren gehörte (Höhne/Schreck 2009: 179).

SEIS leistet in dieser Public-Private-Partnership einen wesentlichen Beitrag zur vorausschreitenden Entwicklung der Output-Steuerung und Standardisierung der deutschen Bildungslandschaft. Die Kooption ist eine neue Form der Steuerung, in welcher Stiftungen als intermediär, d.h. zwischen verschiedenen Akteuren vermittelnd auftreten, funktional jedoch vor allem zum Outsourcing von vormals staatlichen Aufgaben beitragen. Privat und/oder öffentlich ist hier nicht mehr trennbar. In der strategischen Kooptation fungieren Stiftungen als intermediäre Akteure mit dem Ziel einer Privatisierung bzw. Ökonomisierung des Bildungssystems, das in der politischen Öffentlichkeit als zivilgesellschaftliches Engagement verkauft wird.

Die „Monopolisierung von Wissen durch die Stiftung“ (Höhne 2013) findet durch die Besetzung von diskursrelevanten Positionen statt. In das Feld der Bildung wirken Stiftungen weiter beispielsweise in Form von Stipendien („Begabten“- und Eliteförderung), Vernetzungstreffen an prestigeträchtigen Orten, Forschungsgelder für ausgewählte Projekte, Stiftungsprofessuren (in Deutschland allein etwa 660), die Vergabe von Schulpreisen (bspw. Deutscher Schulpreis), gar bis hin zur Etablierung ganzer Bildungssysteme durch Stiftungen (Rockefeller Foundation). Hinzu kommt eine kaum zu überblickende Flut an Publikationen. Dass diese hoch selektive Förderpolitik keineswegs profitabel für alle Mitglieder der Gesellschaft ist und mit ökonomisierenden Begleiterscheinungen auftritt, findet wenig Beachtung.

Dass von der Förderung durch Stiftungen meist nur eine kleine privilegierte Elite profitiert, macht Adloff (2006:421) deutlich:

„Those, however, who are not in the position to give much themselves, such as the long-term unemployed, turn out to receive the last.”

So profitieren beispielsweise von der Umwandlung von ökonomischen Kapital in symbolisches Kapital – durch die „Förderung“ von bürgerlicher Hochkultur – in erster Linie finanzstarke Banken, sowie eine bürgerliche Elite, denn es geht „bei einigen Stiftungen des liberalen Sektors primär um die Generierung von symbolische[m] Kapital“ (Adloff 2004: 279). Dass die (Stiftungs-)Gaben nicht gänzlich frei von eigenen wirtschaftlichen Interessen sein können, drückt sich bereits in den staatlich garantierten Steuerprivilegien von Stiftungen aus: Diese allein könnten bereits Grund genug sein, das nahezu exklusiv positive Bild von Stiftungen zu relativieren, die vor allem unter der Fahne der Gemeinwohlorientierung segeln. Die „gemeinnützigen“ Stiftungsgelder sind Gelder, die öffentlichen Finanzierungen nicht mehr zur Verfügung stehen und in diesem Sinne dem Gemeinwohl bereits entzogen sind. Verstärkt wird dies noch durch die durch Selektion der Projekte, welche durch Stiftungen gefördert werden. Bei genauerer Untersuchung der Mittelverwendung/-vergabe wird schnell deutlich, dass die in §52 GG beschriebene Gemeinnützigkeit und die daran gebundenen steuerrechtlichen Privilegien zumindest dubios erscheinen müssen, wenn „eine Förderung der Allgemeinheit“ gerade nicht gegeben ist, falls der „Kreis der Personen, dem die Förderung zugutekommt, fest abgeschlossen ist“. Stiftungen können daher als Exklusions- und gerade nicht Inklusions-fördernde Körperschaften betrachtet werden, welche strategisch Grenzen der Zugehörigkeit ziehen. (Vgl. Adloff 2006: 420) Die erfolgreiche Einflussnahme in der beschriebenen Strategie ist in dem Maße abhängig, in dem es Stiftungen gelingt, das sie auszeichnende ökonomische und soziale Kapital unsichtbar zu machen und sich mit der Gemeinwohlorientierung auf das symbolische Kapital in ihrem Bild nach außen zu beschränken. Mit dieser Reduktionsstrategie wird eine Unterscheidung in der öffentlichen Wahrnehmung erzeugt (Gemeinwohl vs. Eigenwohl), welche dann zur Grundlage für weiteres „philanthropisches“ und „selbstloses“ Handeln wird. Erst der allgemein akzeptierte Glaube an diese Unterscheidung macht ihr Handeln so wirkungsvoll und problematisch.

Ein weiteres Problem ist die Intransparenz des deutschen Stiftungswesens. Gab es in den USA bereits zahlreiche Bemühungen, Licht ins Stiftungstreiben zu bringen, stehen diese in Deutschland noch gänzlich aus. Dies nicht zuletzt, weil es hierzulande „keine Publikationspflicht von Jahresberichten gibt“. (Adloff 2004: 270) Auch mangelt es Stiftungen an jeglicher demokratischen Legitimation als Akteur im bildungspolitischen Feld. Bereits 1973 erklärte Jeffrey Hart vor dem amerikanischen Kongress zum Stiftungstreiben in den USA mit einem Problembewusstsein, welches in Deutschland wünschenswert wäre:

“The tax-free foundations represent a conspicuous form of irresponsible power. By this I mean they can intervene in a variety of ways in political and social matters and they can do so without any restraining influence by those whom their actions damage.” (zit. nach Arnove/Pinede 2007:391)

Martin Karcher

Literatur

Adloff, Frank (2004): Wozu sind Stiftungen gut? Zur gesellschaftlichen Einbettung des deutschen Stiftungswesens. In: Leviathan 32 (2), S. 269–285.

Adloff, Frank (2006): Beyond Interests and Norms. Toward a Theory of Gift-Giving and Reciprocity in Modern Societies. In: Constellations 13 (3), S. 407–427.

Adloff, Frank (2011): Eine Priveligierung von Stiftungen – wozu? In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 24 (1), S. 55–65.

Arnove, Robert/Pinede, Nadine (2007): Revisiting the „Big Three“ Foundations. In: Critical Soziology 33, S. 389–425.

Bertelsmann Stiftung (Hg.) (2009): Die Kunst des Reformierens. Konzeptionelle Überlegungen zu einer erfolgreichen Regierungsstrategie. Unter Mitarbeit von Friedbert W. Rüb, Karen Alnor und Florian Spohr. Gütersloh.

Bundesministerium des Inneren (BMI) (2010): Nationale Engagementstrategie der Bundesregierung. Unter: http://docplayer.org/115066-Nationale-engagementstrategie-der-bundesregierung.html (16,09.2022)

Höhne, Thomas; Schreck, Bruno (2009): Private Akteure im Bildungsbereich. Eine Fallstudie zum schulpolitischen Einfluss der Bertelsmann Stiftung am Beispiel von SEIS (Selbstevaluation in Schulen). 1. Aufl. Weinheim, Bergstr: Juventa.

Höhne, T. (2013). Stiftungen als Akteure eines neuen Bildungsregimes. Die Deutsche Schule, 3, 242–255.

Statistisches Bundesamt (Hg.) (2011): Bildung und Kultur. Privatschulen. Online verfügbar unter https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/Schulen/PrivateSchulen.html, zuletzt geprüft am 20.07.2012.

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