Privatschule

Zwar stellen Privatschulen in Deutschland noch einen relativ geringen Anteil der allgemeinbildenden Schulen am gesamten Schulwesen dar und es fehlt an sog. Eliteprivatschulen (wie die amerikanischen Ivy League Colleges, französische Grandes Écoles oder englische Public Schools), ihre Zahl ist in den vergangenen 60 Jahren und besonders in den letzten 10 Jahren jedoch kontinuierlich angestiegen. Auch in Deutschland dienen Privatschulen der Eliten(re)produktion, genauer: der Abgrenzung der bürgerlichen Mitte nach unten. Als im Wesentlichen staatlich finanzierte Einrichtungen bilden sie einen wichtigen Teil des Quasi-Markt-Systems in der deutschen Bildungslandschaft.

Drei Hauptarten von Privatschulen lassen sich im deutschen Bildungswesen aufzeigen: kirchliche, reformpädagogische (bspw. Montessori oder Waldorf) und internationale Privatschulen. Die durchaus gängige Bezeichnung Schulen in „freier Trägerschaft“ ist irreführend, da sich Privatschulen nur etwa zur Hälfte selbst finanzieren (Vgl. Eisinger 2009: 251), denn ohne staatliche Finanzierungshilfen (Subventionsgebot) könnten sie nicht bestehen.

Von 1950 bis in die 70er Jahre verdoppelte sich die PrivatschülerInnenzahl nahezu auf 539.000 (Vgl. Koinzer/Leschinksy 2009). In den 70ern setzte sich dieser Trend etwas geschwächt fort. Die Bildungsreform der 1960er Jahre führte zu einem starken staatlichen Ausbau des (höheren) Bildungswesens und es sank vorerst der Bedarf an privaten Initiativen. Seit den neunziger Jahren folgte jedoch ein neuer Wachstumsschub, der sich bis heute fortsetzt. So ist zwischen den Schuljahren 1992/93 und 2010/11 ein Zuwachs um 67% auf 5411 allgemeinbildende und berufliche Privatschulen zu verzeichnen (Statistisches Bundesamt 2011: 12). Der Anteil der PrivatschülerInnen im allgemeinen Bildungswesen stieg im gleichen Zeitraum von 5% auf 7% (ebd.). Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass gegenwärtig unterdurchschnittlich wenige SchülerInnen in Deutschland Privatschulen besuchen. So belief sich der internationale Durchschnitt 2008 in den OECD-Ländern auf 11% im Primarbereich bzw. etwa 15% im Sekundarbereich I und sogar 20% im Sekundarbereich II (Weiß 2011a: 23).

In Deutschland besucht jedes zwölfte Kind eine Privatschule. (Statistisches Bundesamt 2011: 13) Es handelt sich hierbei jedoch keineswegs um ein bundesweit homogenes Phänomen. Es bestehen erstens Unterschiede zwischen Ost und West: In den neuen Bundesländern kam es in den vergangenen 20 Jahren zu einer Verfünffachung, in den alten findet man „lediglich“ ein Zuwachs von 31% (ebd.: 12). Dies erklärt sich nicht zuletzt durch die demographisch bedingte Schließung von Schulen in den neuen Bundesländern, denn auch der Rückgang des staatlichen Schulangebots erzeugt eine neue Nachfrage an standortnahen Privatschulen. Zweitens schwankt die Zahl der SchülerInnen stark zwischen den Bundesländern (3,9 % Schleswig-Holstein; 13,7 % in Sachsen)(ebd.: 13). Auch bestehen drittens große Unterschiede in den privaten Schularten, Gymnasien bilden hier den Hauptanteil an den allgemeinbildenden Schulen mit 38,8% (ebd.: 14). Schließlich zeigen sich viertens in der Zusammensetzung der Privatschulschülerschaft starke Unterschiede. „Der Anteil der Privatschüler aus bildungsnahen Elternhäusern (mindestens ein Elternteil mit Abitur) nahm zwischen 1997 und 2007 um 77% zu (von 7,0% auf 12,4%) […], der Anteilszuwachs bei Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern (kein oder niedriger Abschluss)“ betrug hingegen gerademal 12%. (Weiß 2011: 37)

Es gilt grundsätzlich, zwischen zwei Sorten von privaten Schulangeboten zu unterscheiden: 1. Ersatzschulen, deren Eröffnung und Betrieb im Grundgesetz verankert und an staatliche Auflagen gebunden ist. Art. 7 Abs. 4 GG legt dies betreffend fest:

„Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.“

Drei zusammenfassende Merkmale von privaten Ersatzschulen lassen sich dieser Bestimmung entnehmen: Gleichwertigkeits- und Sicherungsgebot sowie das Sonderungsverbot. Damit wird Privatschulen eine hohe Hürde für die Gründung gelegt, die dafür im Gegenzug mit bis zu 90 % der Personalkosten größtenteils staatlich alimentiert werden.

2. Die sogenannten Ergänzungsschulen, welche weitaus freier agieren können und sich teils über hohe Schulgelder finanzieren. Sie können in entsprechenden Schulmärkten wie ein Unternehmen – also profitorientiert – operieren, indem sie sich über ‚profilscharfe’ attraktive Zusatzangebote an eine zahlungskräftige und bildungsinteressierte Klientel wenden. Vor allem am teuren Internatschulsystem, das zum großen Teil international ausgerichtet ist, zeigen sich der elitäre Zuschnitt und die kleine aber feine und exklusive Zielgruppe eines solchen Angebots. Die Reproduktion sozialer Eliten vollzieht sich, wie Erkenntnisse aus der Elitenforschung zeigen, verstärkt über internationale Netzwerke (Hartmann 2008: 147 f.). In dem Maße, in dem die Globalisierung von Eliten zunimmt, steigt auch die Bedeutung dieses spezifischen Segments des Privatschulbereichs. An die damit verbundene Transnationalisierung von Bildungsdienstleistungen knüpft eine weitergehende Ökonomisierung des Bildungsbereichs an. Denn der Zuwachs an Ergänzungsschulen muss im Zusammenhang mit der Internationalisierung des Handels mit Dienstleistungen (GATS) gesehen werden, der es „selbst Aktiengesellschaften“ erlaubt, pädagogische Dienstleistungen in Deutschland anzubieten (Füssel 2008: 198).

Prominentes Beispiel für einen profitorientierten Schulanbieter ist die PHORMS Management AG, die trotz vereinzelter Schulschließungen beachtlichen Erfolg und Nachfrage verzeichnen kann. Diese fordert ein einkommensabhängiges Schulgeld von mindestens 400 €, was bei gering verdienenden Eltern mit einem jährlichen Einkommen von 20.000 € nahezu ein Viertel des Jahresbudgets ausmachen würde. (Liesner 2011: 166). Dass hierbei das Sonderungsverbot nicht mehr beachtet wird, stellte auch die Hamburger Schulbehörde fest und ordnete eine Reduzierung des Betrags auf 200 € an. (ebd.)

Privatschulen werden oftmals unterstellt, dass sie im Wettbewerb mit staatlichen Schulen leistungsfähiger und erfolgreicher seien. Damit scheint ein wichtiges Argument für mehr Wettbewerb im Schulbereich an sich gegeben. BefürworterInnen einer stärkeren kompetitiven Ausrichtung des Schulsystems stützen sich oftmals auf die Untersuchung von Chubb/Moe, in der sie die These einer höheren Effizienz und Effektivität amerikanischer Privatschulen gegenüber staatlichen Schulen vertreten:

„Bureaucratic autonomy and effective school organization are natural products of the basic institutional forces at work on schools in a marketplace. They are products of school competition and parental choice.“ (Chubb/Moe 1990: 182 f. nach Weiß 2011: 191)

Durch die Lockerung des Elternwahlrechts (choice policies; parent empowerment) sollen Schulen untereinander in einen Wettbewerb um SchülerInnen treten. Die stetige Erweiterung des Privatschulsektors trägt zur Etablierung von Quasi-Märkten bei. Quasi-Märkte

„stellen ein hybrides Steuerungssystem dar, das marktwirtschaftliche und staatlich-bürokratische Steuerungselemente kombiniert. Die Leistungserstellung erfolgt unter Wettbewerbsbedingungen, wird aber weiterhin öffentlich finanziert und unterliegt staatlicher Regulierung und Kontrolle“. (Weiß 2001: 70)

Privatschulen mit staatlicher Finanzierung und gleichzeitiger Möglichkeit der Erhebung von Schulgeld sind geradezu prototypisch für Quasi-Markt-Regime im Bildungsbereich. Gewährleistung und Erbringung von adäquaten Leistungen sind nicht mehr in staatlicher Aufgabe vereint, lediglich Rahmenbedingungen werden staatlich festgelegt. So ist Form und Finanzierung von Privatschulen (Budgetierung) kompatibel mit dem Programm und den Instrumenten des New Public Managements. Denn durch eine stärkere staatliche Förderung des Privatschulsektors kann der Staat eine stärker ökonomische, d.h. auf Wettbewerb ausgerichtete Modernisierung des Schulsystems erreichen. Denn er sorgt indirekt durch diese Art von Förderpolitik dafür, dass Eltern als Kunden wahrgenommen, Schulen zu einer unternehmerischen Strategie und Profilpolitik gezwungen und SchülerInnen von den Schulen vor allem mit Blick auf Status und Leistungsfähigkeit ausgewählt werden. Der Wettbewerb um SchülerInnen und die freie Schulwahl sollen entscheiden, welche Schulen weiter bestehen. Mangelnder Zulauf bzw. hohe Anmeldezahlen stellen demnach Indizien für die Qualität einer guten oder schlechten Schule am Markt dar. Dies soll wiederum qualitätssteigernd auf andere Privatschulen sowie zum anderen auf das gesamte Schulwesen wirken (Vgl. Bellmann 2008).

Die positiven Wettbewerbseffekte, wie sie bildungsökonomisch zuweilen hervorgekehrt werden, sind aber „durch die empirische Forschung […] nicht hinreichend belastbar zu sichern.“ (Weiß 2011a: 8). Die angeblichen und erhofften Qualitätsgewinne in den Leistungen der PrivatschülerInnen verschwinden bei genauerer Betrachtung schnell. Wird der sozioökonomische Hintergrund der einzelnen SchülerInnen in die Gleichung einbezogen, reduziert sich der Vorsprung bereits um die Hälfte. Nimmt man weiter die sozioökonomische Zusammensetzung der Schülerschaft der Schule in die Rechnung auf, ist „der Leistungsvorsprung der Privatschulen vielfach nicht mehr signifikant ist oder sich sogar in einen Leistungsnachteil verkehrt (Weiß 2011: 191). Ein weiterer Faktor in diesem Zusammenhang ist die freie Schülerwahl der Privatschulen und die hieraus resultierenden Konsequenzen für die Zusammensetzung der Schülerschaft auf das „fachliche Unterrichtsniveau und die Intensität der Lernzeitnutzung“ (Weiß 2011: 190).

Wenn auch die tatsächlichen Leistungsgewinne von Privatschulen empirisch nicht nachzuweisen sind, so ist doch die Transformation von ökonomischem Kapital in soziales, symbolisches und kulturelles Kapital durch Privatschulen zu beachten. Denn in diesen Einrichtungen werden Netzwerke für ein Leben gespannt, Kontakte und langlebige Verbindungen hergestellt, die in der einen oder anderen Art später genutzt werden können. Neu an dieser Entwicklung sei, „dass nicht mehr nur Akademikerfamilien, sondern bereits die Eltern der breiten Mittelschicht sich massiver nach unten abgrenzen (Henry-Huthmacher 2008: 8). Damit wird auf der einen Seite das Bildungsmonopol gesellschaftlicher Oberschichteliten bedroht. Aber auf der anderen Seite setzen sich mit neuen ökonomischen Selektionsmechanismen einer weitergehenden Vermarktlichung des Schulsystems auch neue Distinktionsformen durch. Hierbei führt die Etablierung von Quasi-Märkten nicht zuletzt zu einer veränderten Selbstwahrnehmung von Eltern und Kinder als Kunden, aber auch ein Wandel des Selbstverständnisses der Institution Schule als Dienstleister und Bildungsmanager. Der ungedeckte Bedarf sowie der Glaube an die höhere Qualität der Privatschulen lassen darauf schließen, dass diese Entwicklung sich fortsetzen wird. 54% der Mütter und Väter mit Kindern unter 18 Jahren würden ihre Kinder lieber in einer Privatschule sehen, wenn sie es sich leisten könnten (Weiß 2011a: 22). Deutlich zeigt sich am Beispiel der PHORMS Schulen, wie das Sonderungsverbot bereits lange systematisch unterlaufen wurde und ökonomische Argumente die Diskussion bestimmen. Der Boom im Privatschulwesen ist daher auch immer ein Indikator für die vorangeschrittene gesellschaftliche Entsolidarisierung, den sinkenden Glauben an das staatliche Bildungssystem und den bürgerlichen Wunsch nach Distinktion.

Martin Karcher

Literatur

Bellmann, Johannes (2008): Choice Policies – Selektion, Segregation und Distinktion im Rahmen von Bildungsmärkten. In: Heiner Ullrich (Hg.): Begabtenförderung an Gymnasien. Entwicklungen, Befunde, Perspektiven. 1. Aufl. Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss, S. 249–271.

Eisinger, Bernd; Randoll, Dirk; Warndorf, Peter (2009): Privatschulfinanzierung. In: Heiner Barz (Hg.): Handbuch Bildungsfinanzierung. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 249–260.

Füssel, Hans-Peter; Leschinksy, Achim (2008): Der institutionelle Rahmen des Bildungswesens. In: Kai Cortina und Jürgen Baumert (Hg.): Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland. Strukturen und Entwicklungen im Überblick ; [der neue Bericht des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung]. Originalausg., vollständig überarb. Neuausg. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, S. 131–203.

Hartmann, M. (2008): Elitesoziologie. Ffm: Campus

Henry-Huthmacher, Christine (2008): Eltern unter Druck. Konrad Adenauer Stiftung. Online verfügbar unter http://www.kas.de/upload/dokumente/2008/02/080227_henry.pdf, zuletzt geprüft am 20.07.2012.

Koinzer, Thomas; Leschinksy, Achim (2009): Privatschulen in Deutschland. In: Zeitschrift für Pädagogik 55 (5), S. 669–685.

Liesner, Andrea (2011): Wie privat ist privat? In: DDS 103 (2), S. 158–169.

Statistisches Bundesamt (Hg.) (2011): Bildung und Kultur. Privatschulen. Online verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/Schulen/PrivateSchulen.html, zuletzt geprüft am 20.07.2012.

Weiß, Manfred (2001): Quasi-Märkte im Schulbereich. Eine ökonomische Analyse. In: Jürgen Oelkers (Hg.): Zukunftsfragen der Bildung. 43. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik. Weinheim: Beltz, S. 69–85.

Weiß, Manfred (2011): Bessere Qualität der Schulbildung durch Privatschulen? In: Heiner Ullrich und Susanne Strunck (Hg.): Private Schulen in Deutschland. Entwicklungen – Profile – Kontroversen. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 189–200.

Weiß, Manfred (2011a): Allgemeinbildende Privatschulen in Deutschland. Berlin (Schriftenreihe des Netzwerk Bildung). Online verfügbar unter http://library.fes.de/pdf-files/studienfoerderung/07833.pdf, zuletzt geprüft am 18.07.2012.

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