1. Bildung, Ökonomie und Ökonomisierung
Quelle: Michael Bonvalot
Zitationsvorschlag:
Höhne, Thomas: Bildung als öffentliches und/oder privates Gut?
Ökonomisierende Veränderungen im Feld der Bildung,
1. Bildung, Ökonomie und Ökonomisierung,
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1. Bildung und Ökonomie – getrennt oder verbunden?
Das Verhältnis von Bildung und Ökonomie zu bestimmen, ist nicht einfach. Denn zum einen wird differenzierungstheoretisch von einer klaren Trennung beider Bereiche ausgegangen und dies etwa damit begründet, dass Bildung und Ökonomie jeweils über eigene Regeln, Prinzipien und eine Feldautonomie verfügten und damit völlig unterschiedlich seien. Zum anderen wird Bildung auch in einer einseitig funktionalistischen Tradition auf die Zulieferfunktion von Qualifikation und Bildungstiteln zum Arbeitsmarkt, also der Ökonomie reduziert. Aber erst beide Elemente (Autonomie und Qualifikation) zusammengenommen zeigen, dass das Bildungssystem sowohl nach eigenen pädagogischen Regeln operiert (z.B. Didaktik, Erziehung, Bildung, pädagogische Professionalität) als auch, dass Qualifikation eine wesentliche Funktion darstellt, die Bildung für die Gesellschaft erfüllt. Damit zeigt sich die relative Autonomie des Bildungsfeldes (Bourdieu/Passeron 1971), die erst erkennbar wird, wenn man die außerpädagogischen und allgemeinen gesellschaftlichen Funktionen berücksichtigt, die es auch leistet. Dazu gehören außer besagter Qualifizierungsfunktion auch die soziale Integration bzw. Sozialisation Heranwachsender sowie die Vermittlung kultureller Basisfähigkeiten (Lesen, Schreiben, Rechnen), die sich nicht auf ökonomische praktische Aspekte beschränkt, sondern beispielsweise auch ästhetisch-künstlerische Elemente enthält.
Ein historischer Blick macht diese Funktionsvielfalt von Bildung deutlich, denn neben der praktischen, an Berufen orientierten Bildung waren moralische Erziehung oder die religiöse Bildung auch immer wesentliche Faktoren bei der Etablierung des modernen Bildungssystems. Die Auseinandersetzungen zwischen zwei prominenten konträren Positionen – der neuhumanistischen und der philanthropischen – zeigen, in welch unterschiedlicher Weise der gesellschaftliche Wert der Bildung bestimmt und verhandelt wurde. Sie entwickelten sich im Kontext der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft im Umbruch vom 17. zum 18. Jahrhundert und entzündeten sich vor allem am Streit zwischen einer praktisch-berufs- und nützlichkeitsbezogenen Erziehungsvorstellung und der zweckfreien, subjekt- und weltorientierten Perspektive der neuhumanistischen Bildung. In beiden Positionen werden sehr unterschiedliche Wertvorstellungen und Prinzipien bezüglich Moral, Entwicklung, Nützlichkeit von Bildung/Erziehung usw. zum Ausdruck gebracht.
In philanthropischer Perspektive stehen dabei vor allem praktische Fähigkeiten und eine spezielle, auf bestimmte Handlungsdomänen und Gegenstände gerichtete Bildung im Vordergrund, die letztlich auch für die Ausübung eines Berufs genutzt werden können sollen. Erst damit, so die weitergehende Annahme, trägt Bildung zum individuellen und gesellschaftlichen Nutzen sowie zum Glück der Einzelnen und der Gesellschaft bei. Der gesellschaftliche Nutzen von Bildung und individuelles Glück sind in dieser utilitaristischen Perspektive eng miteinander verknüpft (Abb. 1). Demgegenüber steht das neuhumanistische Bildungskonzept, das auf Allgemeinbildung zielt, bei der das Subjekt und die Autonomie des Lernprozesses in den Vordergrund gerückt werden. Der Lernprozess soll hierbei gerade unabhängig von gesellschaftlichen Nützlichkeitsvorgaben erfolgen (Postulat der Zweckfreiheit), verläuft tendenziell kontingent und damit zukunftsoffen und zielt weniger auf das individuelle Streben nach Glück als auf Selbst- und Welterkenntnis.
Das deutsche Bildungsschisma
Unschwer erkennbar in den beiden Positionen ist die konträre Trennung der Bildungsbereiche und -logiken, die Martin Baethge als „Bildungsschisma“ (Baethge 2006), also die dogmatische Trennung beider Bereiche, bezeichnet hat (Abb. 1). Dies meint die „besondere institutionelle Segmentierung von Allgemein- und Berufsbildung, die es in dieser Form nur in Deutschland gibt“ (Baethge 2006: 16). Das Bildungsschisma ist in den unterschiedlichen Bildungsinstitutionen verfestigt (berufliche und allgemeine Bildung) und es zeige sich in den jeweiligen spezifischen Merkmalen:
– In der allgemeinen und vor allem der höheren Bildung, die den Hochschulzugang ermöglicht, die gebildete Persönlichkeit/individuelle Regulationsfähigkeit (Autonomie) zum Ziel hat, einen Kanon repräsentativen, systematisierten Wissens etabliert hat und wissenschaftsorientiert ist, öffentlich verantwortet und finanziert wird (Länder, Kommunen), spezifische LehrerInnen- und LernerInnenrollen (SchülerInnen/Studierende) institutionalisiert hat und praxisenthoben in eigenen Organisationen (Schule, Universität) operiert.
– Die spezielle praktisch-berufliche Bildung fokussiert auf berufliche Handlungskompetenz, die sowohl am Arbeitsmarkt, dem wirtschaftlichen Bedarf und an der Beschäftigungsstruktur als auch an Qualifikationen orientiert ist. Die Berufsbildung ist korporatistisch, d.h. arbeitsteilig zwischen Staat/Politik und Wirtschaft/Unternehmen organisiert, wodurch die historisch spezifische Form der dualen-praxisintegrierten Ausbildung entstanden ist.
Kompetenzen in der Berufsbildung
Karin Büchter erklärt, wie der Kompetenzbegriff den Qualifikationsbegriff aus der Berufsbildung verdrängt hat. Hintergrund seien die verstärkte Handlungsorientierung und der Wandel von Arbeit und Produktion (z.B. „Ende der Arbeitsteilung“ von Kern/Schumann) gewesen und die daran anschließenden Konzepte der Schlüsselqualifikationen und Kernkompetenzen.
Zudem werden wichtige Strukturveränderungen wie etwa diskontinuierliche Berufsbiografien, der Wandel des Arbeitsmarktes, das Ende der Beruflichkeit, die Individualisierung von Verantwortung und Flexibilisierung von Curricula thematisiert.
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Auto-Transkript herunterladenAbb. 1 Bildungsschisma oder Trennung von Kopfarbeit und Handarbeit
Die ursprüngliche Ökonomisierung von Erziehung und Bildung und deren historische Fortschreibung
Die Wurzeln der Konflikte um den gesellschaftlichen Wert und die Funktionen von Bildung fallen im 17. Jahrhundert in eine Phase zunehmender religiöser Spannungen und Kriege, mit der auch eine Säkularisierung religiös begründeter Normen, Werte und Moralvorstellungen einherging. So entwickelte sich ein modernes protestantisch-calvinistisches Arbeitsethos, in dem irdisches und religiöses Verdienst miteinander verknüpft wurden, denn wirtschaftlicher Erfolg war nicht mehr verwerflich, sondern wurde „geradezu zu einem Mittel der Heilsgewissheit“ (Blankertz 1992: 48) und zur Grundlage einer pietistischen Pädagogik. Damit beginnt nach Herwig Blankertz bereits eine erste Phase, die er als „Ökonomisierung der Erziehung“ (ebd.: 46 ff.) bezeichnet, in der historisch zum ersten Mal säkulare und vor allem ökonomische Nützlichkeitserwägungen und Zwecksetzungen unabhängig von religiösen Motiven verknüpft waren.
Diese ursprüngliche Konfliktkonstellation hat historisch ihre Fortsetzung bis heute mit jeweils spezifischen Akzenten gefunden: So etwa die Auseinandersetzung um die Bedeutung der ‚Realien‘ (Naturwissenschaft, Mathematik, moderne Sprachen) gegenüber der auf alte Sprachen fokussierten neuhumanistischen Bildung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Rahmen der Bildungsreform der 1960er-Jahre bildeten schließlich die Forderungen nach Chancengleichheit bzw. ‚Bildung als Bürgerrecht‘ (Dahrendorf 1966) auf der einen Seite und die ökonomische ‚Mobilisierung von Bildungsreserven‘ auf der anderen Seite die beiden Pole der bildungspolitischen Auseinandersetzungen um den Wert von Bildung. Vor diesem Hintergrund stellt die Ökonomisierung der Bildung seit den 1990er-Jahren eine weitere Stufe der Modernisierung des Bildungssystems dar.
1.2 Ökonomisierung – Definitionen und Aspekte
Ökonomisierung hat sich in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten zu einem umfassenden gesellschaftlichen Phänomen entwickelt: Ob im Bereich der Gesundheit, in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik oder im Bildungsbereich, überall wird der zunehmende Einfluss ökonomischer Prinzipien, Instrumente, Praktiken und Diskurse beobachtet.
Doch was meint Ökonomisierung genau? Der Ökonomisierungsbegriff bezeichnet allgemein einen Veränderungsprozess, mit dem „der zunehmende Einfluss der Ökonomie auf das Denken und Handeln von Individuen und Organisationen in verschiedenen sozialen Subsystemen (Löffler 2003: 19) beschrieben wird (Bellmann 2001; Krönig 2007; Pelizzari 2001). Demnach bezieht sich Ökonomisierung auf die Makro-, Meso- und Mikroebene von Gesellschaft, also auf Systeme, Felder, Institutionen, Praktiken und Subjektivierung gleichermaßen.
Nach Uwe Schimank und Ute Volkmann definiert „Ökonomisierung einen Vorgang, durch den Strukturen, Prozesse, Orientierungen und Effekte, die man gemeinhin mit einer modernen kapitalistischen Wirtschaft verbindet, gesellschaftlich wirkmächtig werden“ (Schimank/Volkmann 2008: 382). Die „Ökonomisierung nicht ökonomischer Gesellschaftsbereiche“ führe zu einer „Aufwertung ökonomischer Handlungsprinzipien etwa in der Kunst, im Journalismus, im Gerichtswesen oder in den Hochschulen“ (ebd.). Ökonomisierung hänge unmittelbar mit dem „neoliberalen Wohlfahrtstaatsabbaus“ zusammen und sei als „neue Form sozialer Regulierung“ zu begreifen (Kessl 2002: 1118 f.).
Zudem: Ökonomisierung ist nicht ohne Neoliberalismus und dessen humankapitalistischem Kerngedanken denkbar, nämlich dass tendenziell alle sozialen Bereiche nach einer ökonomischen Logik umgestaltet und optimiert werden könnten oder besser: sollten! Diese radikale Umgestaltungsperspektive wird in Anschluss an Gary Becker – Nobelpreisträger für Ökonomie und Cheftheoretiker der Humankapitaltheorie – auch als „ökonomischer Imperialismus“ bezeichnet (Arentz 1997). Becker dazu im O-Ton: „Ökonomen können nicht nur über den Bedarf an Autos sprechen, sondern auch über Themen wie Familie, Diskriminierung und Religion, über Vorurteile, Schuld und Liebe“ (Becker nach Bröckling 2007: 86, vgl. Abb. 2). Etwa drei Fünftel des persönlichen Einkommens würden Becker zufolge durch das Humankapital und damit durch individuelle Fähigkeiten festgelegt (Becker 1975: 237).
Abb. 2: Wenn Ökonomen über Gesundheit reden …
Zum Beispiel: Crowdwork
In welcher Weise Digitalisierung als Katalysator für Ökonomisierungsprozesse wirkt, verdeutlicht beispielhaft Karin Büchter anhand der Organisation von Arbeit als Crowdwork über digitale Plattformen. Sie fördern in hohem Maße die gegenseitige Kontrolle der ArbeiterInnen untereinander, befeuert Konkurrenz statt Solidarität, schafft ‚Wettbewerbsgemeinschaften‘ als zentrale Vergemeinschaftungsprinzip, entwertet klassische Beruf(lichkeit) und trägt zur Enteignung von Qualifikationswissen (Deprofessionalisierung) bei.
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Auto-Transkript herunterladenDas Subjekt wird damit zu einer Art individuellem ‚Profitcenter‘ von Effizienz und Optimierung gemacht, womit der Kapitalgedanke, nämlich Boden, Maschinen, Technik, Arbeit und Geld zur systematischen Steigerung von Produktivität und Wert auf alle individuellen Ressourcen und Kompetenzen ausgeweitet wird. Nicht nur diese theoretisch-ökonomische Expansion des Wissens um verwertbare menschliche Ressourcen, sondern auch die reale neoliberale Expansion und Entgrenzung der modernen Ökonomie seit den 1980er-Jahren wird als eine umfassende „Generalisierung der ökonomischen Form“ (Bröckling et al. 2000: 16) charakterisiert. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist die veränderte Rolle des Staates und sein gewandeltes Verhältnis zur Ökonomie.
Der Grund für die politische Adaption ökonomischer Instrumente liegt zum einen in der Krise des Staates in den 1970er-Jahren, in der die Politik immer mehr an Handlungs- und Steuerungsfähigkeit verlor (Ölkrise, Arbeitslosigkeit, Schuldenkrise, Inflation, Währungskrise usw.), und zum anderen stieg der Wettbewerbsdruck auf die Nationalstaaten durch die ökonomische Globalisierung, eine erfolgreiche ‚Standortpolitik‘ zu realisieren (Hirsch 1995). In dieser Krisensituation ergriff der Staat die Möglichkeit der ökonomischen Modernisierung – ein Angebot, das im Übrigen Milton Friedman, ein weiterer Nobelpreisträger und zentraler Theoretiker des Neoliberalismus, seinerzeit explizit der Politik machte (vgl. Kasten 1).
Neoliberale Transformation schließt unabdingbar eine großflächige Deregulierung vormals politisch regulierter Bereiche ein und wurde in Form vielfältiger sozial-, arbeitsmarkt-, gesundheits- und rentenpolitischer Reformen seit den 1980er-Jahren durchgesetzt, um in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre auch die Bildungspolitik zu erreichen. Insofern werden Sparpolitik und Ökonomisierung auch primär als ein „strategisches Projekt der Politik“ (Vogel 2007: 64) betrachtet, bei dem mithilfe „wirtschaftlicher Leitbilder“ versucht werde, den „Druck knapper Haushalte zu regulieren, um die Steuerungsfähigkeit aufrecht zu erhalten“ (ebd.). Mit Ökonomisierung sind zudem weitere Aspekte wie neue Formen von Macht und Kontrolle, institutionelle Anforderungen und Subjektivierungsweisen verbunden, die vertiefend im Grundlagentext behandelt werden (vgl. „Aspekte der Ökonomisierung“). Zudem werden die verschiedenen theoretischen Ansätze, mit denen Ökonomisierung in der Wissenschaft diskutiert wird, unter 5.1 „Der unterschiedliche theoretische Blick auf Ökonomisierung“ vorgestellt.
Kasten 1: Die Krise als Chance… für den Neoliberalismus
„In einem seiner einflussreichsten Texte stellte Friedman das auf, was ich mittlerweile als das strategische Kerndogma seiner Bewegung bezeichne: die Schockdoktrin. Er stellte fest: ‚Nur eine Krise – eine tatsächliche oder empfundene – führt zu echtem Wandel. Wenn es zu einer solchen Krise kommt, hängt das weitere Vorgehen von den Ideen ab, die im Umlauf sind. Das ist meiner Ansicht nach unsere Hauptfunktion: Alternativen zur bestehenden Politik zu entwickeln, sie am Leben und verfügbar zu halten, bis das politisch Unmögliche politisch unvermeidlich wird‘. Manche Menschen bereiten sich auf kommendes Unheil vor, indem sie Konserven und Trinkwasser horten, Friedman-Anhänger bevorraten Konzepte der freien Marktwirtschaft“ (Klein 2007: 17).
1.3 Ökonomisierung als „Große Transformation“
Der Ausdruck ‚Große Transformation‘ (Great Transformation) stammt von dem Wirtschaftssoziologen Karl Polanyi (s. Foto), der damit einen fundamentalen Wandel im Verhältnis von Gesellschaft und Ökonomie seit Beginn des 19. Jahrhunderts beschrieb. Die große Transformation bestand in einer Verselbstständigung der Ökonomie gegenüber der Gesellschaft – ein Prozess, den Polanyi als „Entbettung“ bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine Formveränderung der Gesellschaft, also eine Trans-Formation, die vor allem auf die gesellschaftliche und politische Durchsetzung der kapitalistischen Marktform zurückzuführen ist:
Eine entscheidende Instanz zur Durchsetzung (inter-)nationaler Marktstrukturen ist der moderne Staat. So wurde der Binnenhandel in Westeuropa erst durch „das Eingreifen des Staates geschaffen“ (ebd.: 96). Karl Polanyi erachtet damit die ökonomisierende Transformation insofern als gesellschaftlichen und politischen Prozess, da sie sowohl politisch durchgesetzt werden und gesellschaftlich akzeptiert sein musste. Dazu gehören auch die negativen gesellschaftlichen Effekte dieser Veränderung wie verstärkte Ungleichheiten, soziale Risiken oder primär auf den individuellen Erfolg bezogene Handlungsziele (‚Jeder ist seines Glückes Schmied.‘), die zumindest grundsätzlich von den meisten Gesellschaftsmitgliedern geteilt werden müssen. Gerade der Fokus auf den individuellen Erfolg der ökonomischen Figur des ‚Homo oeconomicus‘ (individuelle Erfolgsorientierung, Primat instrumenteller Vernunft, Nutzenmaximierung, kalkulierende Rationalität und Rationalisierung des eigenen Verhaltens usw.) können aber gesellschaftlich entsolidarisierende Wirkung beinhalten: die Spaltung der Gesellschaft in (wenige) Gewinner und (viele) Verlierer. Den gesellschaftlichen Kräften des sozialen Zusammenhalts stehen die Marktkräfte gegenüber, die tendenziell – insofern ungebremst und nicht politisch reguliert – sozial destruktiv wirken können:
Hier wird die – bereits von Karl Marx Mitte des 19. Jahrhunderts beschriebene – grundlegende Veränderung von Arbeit(skraft) beschrieben, die im Rahmen kapitalistischer Marktförmigkeit zu einer tauschbaren Ware auf dem Arbeitsmarkt gemacht wird, also zu einer Ware. Nicht mehr die gesellschaftliche Funktion oder der Gebrauchswert von Arbeit (Subsistenz, Produktion und Verteilung von Gütern, Reproduktion) stehen hierbei im Vordergrund, sondern deren Tausch bzw. ökonomischer Tauschwert.
Entgrenzung von Arbeit und Leben
Karin Büchter diskutiert, inwieweit ökonomische Diskurse und Handlungslogiken in außerökonomischen Berichen die Grenzen von Leben und Arbeit auflösen und das gesamte Leben zu einer ‚Bewirtschaftsungszone‘ werden lassen. Beispielhaft wird diese Verschiebung an der Expansion unternehmerischen Denkens, dem Konzept des lebenslangen Lernens und dem Zusammenwirken von Ökonomisierung und Pädagogisierung kritisch diskutiert, bei dem „ökonomisiertes Leben als Kompensation eines anderen Lebens“ begriffen wird.
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Schließlich hebt Polanyi noch hervor, dass die gesellschaftliche Bedeutung „ökonomischer Sachverhalte“ an sich vergleichsweise banal bzw. gering sei gegenüber symbolischen Formen gesellschaftlicher Anerkennung. Salopp könnte man sagen, dass die durch Arbeit, materielle Produktion und Verteilung gesellschaftlich geregelte Befriedigung der Bedürfnisse relativ klar und vergleichsweise banal ist gegenüber der symbolischen Dimension von Identität, Anerkennung, Status usw., die damit verbunden ist:
Je weiter die ökonomische Logik in verschiedene gesellschaftliche Bereiche vordringt, umso mehr verwandelt sich Gesellschaft in eine „Marktgesellschaft“ (ebd.: 89), was die eigentliche Bedeutung des Begriffs „Marktwirtschaft“ sei (ebd.).