Es ist offensichtlich, dass sich Bildungspolitik vor allem durch internationale Organisationen wie OECD, Weltbank und UNESCO seit geraumer Zeit über die Grenzen von Nationalstaaten hinaus globalisiert. Es handelt sich um einen Prozess, der im Rahmen der „Weltbildungsexpansion“ (von Reccum 1998: 11) in den der 60er Jahren begann, aber durch Faktoren seit den 1980er Jahren beschleunigt wurde. Dazu gehören eine weitgehende Liberalisierung von Märkten und Dienstleistungen vor allem durch das GATS-Abkommen von 1995 (‚General Agreement on Trade in Services’), eine stärkere internationale Politikverflechtung zwischen internationalen Organisationen, nationalen Regierungen und regionalen Politikräumen (z.B. die EU) sowie der zunehmende Einfluss privat(wirtschaftlich)er Akteure auf die globale Politikgestaltung (Lobbying, Netzwerke).
Eine solche weltumspannende Globalisierung setzt ein hohes Maß an Standardisierung und die Anerkennung von Standards durch nationale und lokale Regierungen voraus. Diese wiederum sind oftmals nur in schwierigen Prozessen der Konsensfindung zu erreichen, wofür in der EU eigens die Offene Methode der Koordinierung als Verhandlungsmodus entwickelt wurde. Über weiche Faktoren wie Empfehlungen, Weißbücher, Beratungen, round-tables usw. soll gerade in sensiblen Politikbereichen wie Sozial- und Bildungspolitik gegenüber harten Gesetzgebungen ein Konsensfindungsprozess zwischen verschiedenen nationalen Akteuren in Gang gesetzt werden. Politische Divergenzen Vorstellungen und Ziele sollen so schrittweise angenähert, angeglichen und schließlich in konvergente Standards umgewandelt werden. Wenn bestimmte Standards, Institutionen, Programme und Strukturen vor allem auf Organisationsebene zunehmend in einem Feld konvergieren, so wird neoinstitutionalistisch auch von Isomorphie gesprochen.
‚Isomorphie’, was wörtlich übersetzt ‚Gleichförmigkeit’ bedeutet, kann das Ergebnis einer bewussten politischen Strategie sein – wie etwa im Fall der Bildungsstandards –, einer Machtstrategie der expansiven Durchsetzung von Standards oder einer selbsttreibenden Angleichung von Handlungs- oder Operationsformen in Organisationen oder organisationalen Feldern (Kommunikation, Arbeitsprozesse, Produkte usw.). Isomorphien entstehen oftmals unter Wettbewerbsbedingungen, indem Konkurrenten sich gegenseitig beobachten und erfolgreiche Praktiken nachahmen. Auf solche ‚good/best practice’- Modelle wird zunehmend auch in außerökonomischen Feldern als Mittel der Umgestaltung zurückgegriffen. So wird beispielsweise die Best-Practice-Funktion des Rankings der PISA-Sieger-Staaten als entscheidendes Moment internationaler Bildungsvergleichsstudien herausgestellt (de Olano u.a. 2010). Dieser Diffusionsprozess bildet die Grundlage für die Verbreitung eines spezifischen Bildungsmodells, mit dem ein funktionalistisches Bildungsverständnis durchgesetzt werden soll. Darüber hinaus korreliert diese Entwicklung eng mit anderen bildungspolitischen Maßnahmen wie der Einführung von Bildungsstandards, Vergleichsarbeiten und mit der Umstellung von Lehrplänen auf Bildungspläne im Schulbereich. Daran wird deutlich, dass diese von der Bildungspolitik initiierten Standardisierungsprogramme wie Formatvorlagen wirken, die einen Rahmen für eine outputorientierte Steuerung bilden. Leistungsorientierte Steuerungsformen und eine damit verbundene stärkere Selektion in Bildungsinstitutionen bereiten das Feld für eine weitergehende Vermarktlichung im Bildungsbereich, in dem bildungspolitisch dosiert Wettbewerbselemente langsam, aber sicher eingeführt werden können. In diesem vermittelten Sinne ist ein Mindestmaß an politisch gesteuerter Standardisierung für Marktbildungsprozesse, für die Schaffung von Bildungsmärkten und für national und lokal angepasste Ökonomisierungsstrategien eine zentrale Voraussetzung.
In vergleichenden Untersuchungen zur weltweiten Expansion des Bildungssystems im Rahmen des „Weltkultur“ bzw. World-Polity-Ansatzes (Meyer 2005) konnten eine weltweite Diffusion bestimmter institutioneller Strukturen und Inhalte wie etwa die Differenzierung nach allgemeiner und höherer Bildung, das 6-3-3-Modell der Schullaufbahnstruktur (6 Jahre Primarstufe und 2 x 3 Jahre Sekundarstufe) oder die zunehmende Bedeutung von Fächern wie Mathematik und Naturwissenschaften festgestellt werden. Zudem sind die weltweite Standardisierung von Titeln, Zeugnissen und Abschlüssen (Meyer/Ramirez 2005: 229) Indizien für besagte Isomorphie, die bestimmten Mechanismen unterliegen. Hierzu gehören ‚Zwang’, ‚Mimesis’ und ‚normativer Druck’“ (Meyer/Rowan 2009: 39), die „langfristig zu einer Homogenisierung von formalen Strukturen und Praktiken innerhalb eines organisationalen Feldes“ führen können (Koch 2009: 119). Daher implizieren Ökonomisierungsprozesse im Bildungsbereich eine gewisse Isomorphiebildung, die etwa durch die Schaffung der erwähnten best-practice-Beispiele (= Mimesis), über normativen Druck in Form des Profilierungsgebot für Schulen (Schulprogramme) oder erzwungene Isomorphie qua gesetzlicher Bestimmungen (Bildungsstandards, zentrale Vergleichsarbeiten) erreicht werden kann (vgl. (Höhne/Schreck 2009: 224 ff.).
„Kompetitive Isomorphie“ hat vor allem in Feldern eine zentrale Bedeutung, „in denen ein freier und ungehinderter Wettbewerb herrscht“ (DiMaggio/Powell 2009: 63). Davon unterscheiden sich die genannten drei Mechanismen Zwang, Mimesis und normativer Druck als Formen des „institutionellen isomorphen Wandels“ (ebd.). Sie sind aber die Voraussetzung für eine institutionelle Adaption kompetitiver Elemente von Organisationen wie Schulen und Universitäten, die nicht direkt auf einem Markt miteinander konkurrieren müssen.
Im Hochschulbereich unterliegen Isomorphieprozesse einer entsprechenden zeitlichen und politischen Koordinierung. BOLOGNA steht daher sowohl für diesen Prozess der zeitlich-politischen Rahmung einer internationalen Hochschulpolitik im EU-Binnenraum als auch für eine Programmatik, welchen Zweck die Hochschulausbildung zukünftig erfüllen soll. Explizit ist die Angleichung von Abschlüssen (einheitliches BA/MA-System) intendiert sowie die Ausrichtung von Curricula und Studiengängen hin auf den Arbeitsmarkt, die durch das Merkmal der ‚Employability’ definiert wird. Darüber hinaus geht es um die gegenseitige Anerkennung von Studienleistungen durch die Mitgliedstaaten, so dass am Ende alle Maßnahmen zur Etablierung eines gemeinsamen Hochschulraums führen sollen. Dies zeigt, dass die Ausbildung isomorpher Strukturen und Formen nicht eine von oben nach unten verordnete Transformation ist, sondern einen vielschichtigen Prozess der Aushandlung, Konsensfindung und Implementation in die jeweiligen nationalen Kontexte bildet. Ähnliches lässt sich in derselben Bewegung im Bereich der Berufsbildung beobachten. Denn auch die Etablierung eines europäischen Qualifikationsrahmens und die Übersetzung in die Sprache der jeweiligen Nationalen Qualifikationsrahmen ist ein entscheidender Schritt a) zur Standardisierung curricularer Inhalte und Qualifikationen und b) zur erhöhten Kompatibilität von Bildungs- und Beschäftigungssystem. Zudem werden Berufsbildung und akademische Bildung zum ersten Mal in einem einzigen achtstufigen Konzept zusammengeführt und standardisiert.
Es stellt sich die Frage, warum die drei genannten Isomorphiemechanismen im Bildungsbereich überhaupt wirken, denn Schulen und Universitäten könnten sich gegen eine Standardisierung sowie eine Verschärfung von Konkurrenz und Wettbewerb zur Wehr setzen. Dies hängt eng mit der spezifischen Handlungslogik, dem Wissen und der Rationalität von Bildungsorganisationen zusammen, nach denen gehandelt und das Handeln legitimiert wird. Denn im Unterschied zu Unternehmen, deren technische Rationalität von der quantifizierbaren Effizienz von Arbeitsprozessen, organisatorischen Abläufen, Produktion und Produkten geprägt ist (Kennzahlen, klare quantifizierbare Indikatoren und Kausalitäten), sind Schulen oder Universitäten in hohem Maße auf soziale Normen zur Legitimation ihres Handelns angewiesen (DiMaggio/Powell 2009). Sie stellen keine Produkte her, deren Wirtschaftlichkeit, Produktoptimierung usw. quantitativ gemessen werden könnte. Daher operieren sie nicht mit den sicheren Technologien wie ein Unternehmen oder Betrieb. Wenn
„organisationale Technologien unklar sind, ihre Ziele mehrdeutig sind oder ihre Umwelt symbolische Unsicherheit produziert, neigen Organisationen dazu, sich nach dem Vorbild anderer Organisationen zu modellieren“ (ebd.: 66).
Krisen verarbeitet die Bildungspolitik seit den 1990er Jahren stereotyp mit dem Ruf nach Standardisierung und Qualitätserhöhung – und verwechselt regelmäßig dabei die unterschiedlichen Organisationstypen und –logiken. Auf die Krise von PISA hat das bildungspolitische Feld mit einer isomorphen Vereinheitlichung formaler Strukturen und Praktiken reagiert, die zunächst einmal auf der Erzeugung und Durchsetzung einer einheitlichen Vorstellung von Qualität beruhte. Diese bildungspolitische Reaktionsweise bestätigt Befunde zu den Auswirkungen von PISA in den unterschiedlichen PISA-Teilnehmer-Staaten. Man fand heraus, dass die Vergleichsstudie „auf der Identifizierung gemeinsamer Merkmals besonders erfolgreicher Bildungssysteme von ‚PISA-Gewinnern’ als Beispiele für ‚beste Praktiken (best practices)“ basiere (de Olano u.a. 2010: 12). Mit PISA wurde also ein Vorbild geschaffen, das nun zur weiteren Nachahmung aufruft.
Thomas Höhne
Literatur
de Olano, Daniel u.a. (2010): Das PISA-Echo – Resonanzen und Erklärungsansätze. In: Knodel, Philipp u.a. (Hg.): Das PISA-Echo. Internationale Reaktionen auf die Bildungsstudie. Frankfurt Main: Campus
DiMaggio, Paul J./Powell, Walter W. (2009): Das ‚stahlharte’ Gehäuse neu betrachtet: Institutionelle Isomorphie und kollektive Rationalität in organisationalen Feldern. In: Koch, Sascha/Schemmann, Michael (Hg.): Neo-Institutionalismus in der Erziehungswissenschaft. Wiesbaden: VS. S. 57-84
Höhne, Thomas/Schreck, Bruno (2009): Private Akteure im Bildungsbereich. Eine Fallstudie zum schulpolitischen Einfluss der Bertelsmann Stiftung am Beispiel von SEIS. Weinheim/München: Juventa
Meyer, John W. (2005): Weltkultur. Wie die westlichen Prinzipien die Welt durchdringen. Frankfurt Main: Suhrkamp
Meyer, John W./Ramirez, Francisco O. (2005): Die globale Institutionalisierung der Bildung. In: Meyer, John W. (2005): Weltkultur. Wie die westlichen Prinzipien die Welt durchdringen. Frankfurt Main: Suhrkamp. S. 212-235.
Meyer, John W./Rowan, Brian (2009): Institutionalisierte Organisationen. Formale Struktur als Mythos und Zeremonie. In: Koch, Sascha/Schemann, Michael (Hrsg.): Neoinstitutionalismus in der Erziehungswissenschaft. Wiesbaden: VS, S. 28–56.
Reccum, Hasso von (1998): Bildungspolitische Steuerung oder – Die Kunst, das Unmögliche möglich zu machen. Frankfurt/Main
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