Professionalität ist mittlerweile zu einem Kriterium avanciert, mit dem die Qualität jeder Art von Tätigkeit unterstellt wird oder belegt werden soll. Kein Urteil scheint verhängnisvoller als: ‚Das war sehr unprofessionell’. Nach klassischer berufssoziologischer Definition ist Professionalität an bestimmte Professionen und deren Standards gebunden, wovon sich die aktuelle Verwendung von Professionalität aber gelöst zu haben scheint. So wird ein Widerspruch sichtbar, der auch und vor allem für den Bildungsbereich bedeutend ist, weil er einen Effekt des inflationären Gebrauchs von Professionalität darstellt. Denn je mehr und öfter über Professionalität gesprochen und diese behauptet wird, umso geringer erscheint der (Qualitäts-)Wert, der damit verbunden wird. Daran schließt eine Kritik an, die als einen Effekt der Ökonomisierung von Bildung eine Deprofessionalisierung befürchtet (Höhne 2012, Radtke 2009).
Doch zunächst ist zu klären, was Professionalität im Allgemeinen und pädagogische Professionalität im Speziellen ausmacht. Legt man die Merkmale klassischer Professionen wie Medizin zugrunde, so werden in der Regel die folgenden angeführt: Professionen stellen eine „auf wissenschaftliches Wissen gründenden Berufsausübung“ dar, sie haben eine freiberufliche Stellung inne, sie besitzen „Autonomie bei der Formulierung von Standards der Berufsausübung und Ausbildung“, sie haben eine berufsständische Organisation und eine Berufsethik und zeichnen sich schließlich durch eine Klientenorientierung aus, deren Ziel der „Aufbau einer gelingenden Beziehung zum Klienten“ ist (Combe/Helsper 2002: 30). Gemessen an diesen Standards sind pädagogische Berufe und Tätigkeiten eher als semiprofessionell einzustufen, da PädagogInnen meistens weder freiberuflich beschäftigt sind noch in dem Maße autonom in der Ausübung Ihrer Tätigkeit sind, wie dies für FreiberuflerInnen gilt. Dies hat zum einen mit der Spezifik pädagogischen Handelns zu tun, das durch ein grundlegendes Technologiedefizit und Paradoxien in pädagogischen Handlungsfeldern charakterisiert ist. Anders als Ärzte operieren PädagogInnen mit sogn. unsicheren Technologien, d.h. vor allem Wirkungsannahmen ihres Handelns. Ob eine Schulstunde so verläuft, wie der/die LehrerIn dies geplant hat oder die Lernziele letztendlich erreicht wurden, ist relativ offen. Mit dieser Offenheit der Unterrichtssituation umzugehen, den pädagogischen Takt an das situative Klassengeschehen anzupassen und in schwierigen Fällen eine Fallanalyse sowie eine Rekonstruktion des Fallgeschehens unternehmen zu können, gehört zum professionellen Kernbestand von Lehrpersonen. Ist dieser Kernbestand durch die aktuelle bildungspolitische Entwicklung wie etwa die forcierte Kontrolle durch Evaluation oder Rankings bedroht?
Wichtig für die Beantwortung der Frage, ob Ökonomisierungsprozesse allgemein eine deprofessionalisierende Wirkung entfalten, ist noch der Umstand, dass die „Etablierung und (…) Institutionalisierung pädagogischer Professionen zeitgleich mit der Entstehung des wohlfahrtsstaatlichen Arrangements“ stattfanden (Heite/Kessel 2009: 682). Denn dies macht deutlich, dass die Ausbreitung und Konsolidierung pädagogischer Professionen unmittelbar mit der Form des Staates, d.h. des Wohlfahrtsstaats zusammenhängen, was auch heißt, dass sich Veränderungen von Staat und Politik auf die Professionalität bzw. deren Verständnis auswirken können. So wird konstatiert, dass die Sozial- und Bildungspolitik aufgrund einer „post-wohlfahrtstaatlichen Transformation“ des Staates zu „Kommerzialisierung und neuen Vergemeinschaftungsstrategien“ führten (ebd.: 689), die im Bildungsbereich öffentlich-private Partnerschaften auf den Plan gerufen hat oder Forderungen nach mehr Effizienz und Effektivität von Bildungsinstitutionen hat laut werden lassen. Davon, so ist zu mutmaßen, bleibt also auch der professionelle Kern pädagogischer Organisationen nicht unberührt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn mit diesen Forderungen eine grundlegend andere Logik professionellen Handelns beabsichtigt ist, wenn etwa die permanente Überprüfbarkeit und Kontrolle pädagogischer ‚Qualität’ eingefordert wird. Denn besagte Überprüfbarkeit pädagogischer ‚Leistungen’ hat insofern Grenzen, als ein Großteil pädagogischen Wissens und Könnens in leistungsbezogenen Evaluationen und Vergleichen gar nicht auftaucht, weil es auf einer anderen Logik beruht als die, welche dort abgefragt wird. Qualitätsforderungen und -sicherungsmaßnahmen scheinen vielmehr dazu zu dienen, Professionalität um- bzw. neu zu definieren, indem etwa das Kriterium der Evidenz scharf gemacht wird, um pädagogisches Handeln zu beurteilen. Es stammt aus der Medizin und hat in dieser empirischen Disziplin und Profession seine Berechtigung. Mit der Übertragung auf die Pädagogik wird aber suggeriert, dass der Einsatz bestimmter Instrumente oder Methoden in der Pädagogik einen ähnlichen Wirkungserfolg zeitigen könnte wie die Instrumente im Operationssaal, wenn der Operateur nach eindeutiger Diagnose (z.B. Röntgenbilder) zielsicher den Tumor entfernt. Eine solche Zielsicherheit, die den Einsatz und die Wirkung pädagogischer Maßnahmen gewährleistet, ist in pädagogischen Prozessen nicht annäherungsweise zu erreichen. Daher hat Professionsforschung deutlich gemacht, dass genau ein solches Verständnis ‚evidenter’ Pädagogik nicht die Grundlage pädagogischer Professionalität bilden kann, weil die pädagogischen Arbeitsfelder wie Unterrichten, Erziehen, Bilden, Beraten wie auch Fördern, Unterstützen und Helfen sich nicht oder nur höchst unzureichend an Erfolgsindikatoren wie Leistung und Erfolg messen und quantifizieren lassen (Combe/Helsper 1996). Damit entsteht ein Kontrollproblem, das für jeden bildungspolitischen Akteur gerade in Zeiten der Krise als Anlass zur Forderung nach erhöhter Kontrolle des Outputs genutzt wird, auch wenn dieser nach pädagogischer Argumentation zweifelhaft ist. In Gang gesetzt wird vielmehr eine Dynamik der Fremd und Selbstrationalisierung von Bildungsinstitutionen, die nicht nur die bildungspolitisch verfügten Rationalisierungsmaßnahmen umsetzen müssen (z.B. Evaluation), sondern diese auch plausibel in ihr professionelles Handeln integrieren müssen, um weiterhin die gesellschaftliche Legitimation für ihr Handeln zu erlangen. Dies kann sich in Fassadenverhalten äußern, wodurch die für Bildungsinstitutionen so wichtige öffentliche Anerkennung gewährleistet wird.
Welche Effekte eine solche Rationalisierung pädagogischer Professionalität nach den Kriterien von Evidenz (klare Belege für Maßnahmen, Methoden, Instrumente), Effizienz (bestimmbares Aufwand-Ertrags- Verhältnis) und Effektivität (bestimmbare Ziel-Mittel-Relation) haben kann, hat Veronika Tacke gezeigt. Das in der Organisations- und Schulentwicklung gehypte Konzept der ‚Lernenden Organisation’ führt ihrer Meinung nach zu einer Abwertung professionellen pädagogischen Wissens. Sie betont zunächst die notwendige Differenzierung zwischen professionellem Wissenskomplex auf der einen und managerialem Wissenskomplex auf der anderen Seite und kritisiert an der „Semantik der Lernenden Organisation“ die „Konfusion zwischen pädagogisch-professionellen und organisatorisch-manageriellen Wissensbeständen“ (Tacke 2005: 190). Wesentliche Elemente von Professionalität wie etwa die Differenzierung „unterschiedlich ‚organisierter Interaktion“ wie Schulentwicklung, Unterrichtsentwicklung und Unterricht oder auch die konstitutive Rollenasymmetrie zwischen LehrerInnen und SchülerInnen würden hierbei semantisch eingeebnet (ebd.: 188-189). Sie weist zudem auf das grundlegende Problem der (nicht) beliebigen Übertragbarkeit von Managementkonzepten in ganz unterschiedliche organisationale Kontexte hin. Unter dem Strich wird also die Managerialisierung von Schule, d.h. die systematische Einführung von Management-Methoden in den Schulbereich mit dem Ziel der Qualitätssicherung/-verbesserung als „aktive Deprofessionalisierung“ kritisiert (ebd.). Dies betrifft unterschiedliche Ebenen von Bildungsorganisationen und reicht von der Stärkung der Leitungsebene in Schule und Universität zur Stärkung strategischen Wettbewerbshandelns über die Einrichtung von Hochschulräten an Hochschulen nach dem Vorbild von Aufsichtsräten in Aktiengesellschaften und die ubiquitäre Einführung von neuen Steuerungsmitteln bis auf die Ebene von Unterrichten – eben wenn professionelle LehrerInnen durch Classroom-Manager und Unterricht gegen ‚classroom-management’ ersetzt werden soll (Radtke 2009: 630). Ökonomisierung von Bildung vollzieht sich hier unter den Vorzeichen einer anspruchsvollen Semantik der ‚Lernenden Organisation’ mit dem Zweck, nicht nur diese, sondern auch den professionellen Kern von Bildungseinrichtungen nach Managementlogik umzugestalten. Und damit sind stets starke bzw. harte Rationalitätsannahmen (sichere Maßnahmen und Wirkungen, die sich indikatorisieren und quantifizieren lassen) verbunden, die den weichen Rationalitätsimplikationen pädagogischer Professionalität (Kontingenz von Ziel-Wirkungszusammenhängen), d.h. dem erwähnten Technologiedefizit entgegenstehen.
Was die hypertrophen Rationalitätsunterstellungen vieler Organisationsentwicklungsansätze betrifft, so kann der alleinige Glaube an die Rationalität von Handlungen und deren entsprechender Kontrolle sehr schnell ins Gegenteil umschlagen:
„In einer Gesellschaft, in der das Rationalitätsparadigma dominiert, ist man darauf angewiesen (…), sich als rational darzustellen. Organisationen bauen deshalb Fassaden rationaler Prozeduren auf, die auch zeremoniell-rituell abgestützt sind, um sich auf diese Weise nach innen Freiraum zu verschaffen. Diese Abschottung dient der Entkopplung von Umweltverhalten und faktischem Binnenverhalten“ (Türk nach Heinrich 2007: 83)
Bei diesem Wechsel von pädagogisch orientierter Binnensteuerung zu bildungspolitischer Außensteuerung verlieren Profession und Interaktion gegenüber der Organisation an Bedeutung, welche die zentrale Bezugsgröße für das neue, leistungs- und outputorientierte Steuerungsregime darstellen. Zudem wird die Vermutung geäußert, dass im Rahmen des neuen Steuerungsmodells „die bürokratischen konstitutiven Prinzipien beibehalten und um den Gedanken des ökonomischen Rationalismus erweitert werden“ (Zlatkin-Troitschanskaia 2007: 80). So zeigt sich, dass die deprofessionalisierenden Effekte von Ökonomisierungsprozessen auf der Substitution des klassischen Professionsmodells durch ein manageriales Modell von Professionalität beruhen.
Professionstheoretisch wird davon ausgegangen, dass sich professionelles Handeln grundlegend durch eine Wertorientierung und, mit Hauke Brunkhorst formuliert, eine „moralische Potenz: die Kollektivorientierung“ auszeichnet, welche die „Integrität des Individuums und das Gemeinwohl“ (Radtke 2009: 631) zum Ziel hat. Nimmt man diese Definition zum Maßstab, dann findet gegenwärtig eine Ent- bzw. Umwertung von Professionalität insofern statt, als wertrationale Bezüge (z.B. Vorstellungen von Gleichheit, Integration, Demokratie, individueller Autonomie) durch zweckrationale Referenzen ersetzt werden, die das „strategische Verhalten des ‚selbstorientierten’ Geschäftsmannes und des Interessen marktkonform kalkulierenden Managers“ (ebd.). Oder anders ausgedrückt: Mit der Strategie der Ökonomisierung der Erziehung ist der Versuch verbunden, „instrumentelles pädagogisches Handeln von wertrationalen Selbstbeschränkungen zu befreien“ (ebd.: 632).
Thomas Höhne
Literatur
Combe, Arno/Helsper, Werner (Hg.) (1996): Pädagogische Professionalität. Frankfurt Main: Suhrkamp
Combe, Arno/Helsper, Werner (2002): Professionalität. In: Otto, Hans-Uwe/Rauschenbach, Thomas/Vogel, Peter (Hg.): Erziehungswissenschaft: Professionalität und Kompetenz. Opladen: Leske+Budrich. S. 29-48
Heinrich, Martin (2007): Governance in der Schulentwicklung. Wiesbaden: VS-Verlag
Heite, Catrin/Kessel, Fabian (2009): Professionalisierung und Professionalität. In: Andresen, Sabine u.a. (Hg.): Handwörterbuch Erziehungswissenschaft. Weinheim/Basel: Beltz. S. 682-697.
Radtke, Frank-Olaf (2009): Ökonomisierung. In: Handwörterbuch Erziehungswissenschaft. Weinheim/Basel: Beltz. S. 621-636.
Tacke, Veronika (2005): Schulreform als aktive Deprofessionalisierung? In: Klatetzki, Thomas/Tacke, Veronika (Hg.): Organisation und Profession. Wiesbaden: VS-Verlag. S.165-199.
Zlatkin-Troitschanskaia, Olga (2007). Steuerungsfähigkeit des öffentlichen Schulwesens versus Steuerbarkeit der Schule – Paradigmenwechsel? In: Buer, J. van/Wagner, C. (Hg.), Qualität von Schule – Entwicklungen zwischen erweiterter Selbstständigkeit, definierten Bildungsstandards und strikter Ergebniskontrolle – Ein kritisches Handbuch. Frankfurt a. M.: Lang, 67-81.
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