Sozialpädagogik

Betriebswirtschaftliche Umstrukturierungen – die organisationale Dimension der Ökonomisierung

Die Ökonomisierung im Feld der Sozialpädagogik wird zumeist als Prozess der betriebswirtschaftlichen Umstrukturierung bzw. Neusteuerung von Einrichtungen der Sozialen Arbeit verstanden. Diese Entwicklung ist insbesondere mit der so genannten Verwaltungsmodernisierung kommunaler Administrationen seit Anfang der 1990er Jahre verbunden: Die von den bundesdeutschen Kommunen gemeinsam getragene Beratungs- und Entwicklungsagentur, Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) hat seit 1993 einschlägige Berichte zum „Neuen Steuerungsmodell“ veröffentlicht und damit die Entwicklung des Ökonomisierungsprozesses im Bereich der sozialen Dienste in der Bundesrepublik dynamisiert (vgl. KGSt-Bericht 5/1993; vgl. auch ebd. 9/1994 und 3/1996). In den folgenden Jahren wurden umfangreiche und ausdifferenzierte Handreichungen zu Einzelfragen der Implementation managerialer Organisations- und Steuerungsinstrumente in der Kommunalverwaltung, der Sozialen Arbeit und der Kinder- und Jugendhilfe publiziert (vgl. u.a. KGSt-Berichte 8-11/2000, Schröder 2000) und die öffentlichen (Jugendämter) wie freien Träger (Erziehungshilfeeinrichtungen oder Anbieter von Jugendarbeit) grundlegend nach betriebswirtschaftlichen Logiken umgebaut. Obwohl nach dieser Implementierungsphase der 1990er Jahre inzwischen von einer flächendeckenden Ökonomisierung im Feld der Sozialpädagogik gesprochen wird (vgl. Buestrich et al 2008; Tegethoff 1995, v.a. S.143ff.; Pluto et al 2007, S. 302), ist die empirische Datenlage bis heute relativ dünn. Für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe berichtete Eric van Santen Ende der 1990er Jahre (1998, S.37), dass 21% der Jugendämter bereits Umstrukturierungsmaßnahmen i.S. der KGSt-Empfehlungen vorgenommen haben und weitere 41% dieselben in nächster Zeit anstreben. Jüngere Daten des Deutschen Jugendinstituts (DJI) bestätigen diese grundsätzliche Entwicklungsdynamik auch für die nachfolgenden Jahre. Zugleich weisen diese Befunde aber auf die heterogene Ausprägungsform des Ökonomisierungsprozesses hin: Für die stationäre Erziehungshilfe zeigen Pluto et al (2007, S. 300) zum Beispiel, dass Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts ein Drittel (32 %) der von ihnen befragten Jugendamtsbezirke von mindestens einem privat-gewerblichen Heim berichtet. In anderen Bereichen, wie den Beratungsstellen, ist ein privat-gewerbliches Engagement zum Befragungszeitpunkt dagegen nur sehr selten vorzufinden. Dennoch kommen die Autor_innen insgesamt zu der Einschätzung, dass sich privat-gewerbliche Träger „im Feld der Kinder- und Jugendhilfe offensichtlich etabliert haben“ (ebd., S. 302). Dieser Befund ist trotz der sehr unterschiedlichen Ausprägungsgrade von privatisierten oder auch kommerzialisierten Angebotsstrukturen deshalb einleuchtend, weil der Ökonomisierungsprozess im Feld der Sozialpädagogik sehr viel mehr meint als nur ihre veränderte Organisation. Ökonomisierung beinhaltet zum Beispiel auch eine Neuprogrammierung unter den Prämissen der vorherrschenden Managementlehre, die sich auch in weiterhin öffentlich verfassten Trägerstrukturen durchsetzt:

„Basierend auf dem Glauben an die Gestaltungskraft des Managements und die der Dreifaltigkeit ‚managers markets and measurement‘ (Ferlie/Steane 2002, 1461) stellt der Managerialismus eine spezifische ideologische Form der Anwendung von Instrumenten der Managementlehre dar“ (Otto/Ziegler 2011, S. 901f.).

Der anhaltende Prozess der Ökonomisierung im Feld der Sozialpädagogik beschreibt also eine grundlegende Veränderung in Struktur und Logik der Organisation ihrer Angebote (vgl. auch Messmer 2007; Hensen 2006). Diese heterogene Transformationsbewegung konkretisiert sich seit den 1990er Jahren in vierfacher Weise: einer (a) Privatisierung, (b) Kommerzialisierung, (c) Managerialisierung, aber auch (d) einer Kontraktualisierung der bisherigen wie neuen Angebotsstrukturen (vgl. dazu Kessl 2013b/i.E.). Die Ökonomisierung im Feld der Sozialpädagogik ist sowohl von einem gezielten Fokus auf (betriebs)wirtschaftliche Gesichtspunkte gekennzeichnet als auch von einer Tendenz, den sparsameren Einsatz von Ressourcen zum Primat von organisationsrelevanten Entscheidungen zu machen. Die Verpflichtung auf einen sparsamen Einsatz von Mitteln wäre allerdings missverstanden, wenn sie nur als Ergebnis der verstärkten Orientierung an der vorherrschenden Management- und Betriebswirtschaftslehre gelesen würde – im Sinne der Implementierung entsprechender organisationaler, „neuer“ Steuerungsinstrumente seit den 1980er (u.a. NZ, UK und USA) bzw. seit Anfang der 1990er Jahre (u.a. D). Nicht nur sind trotz des Einsatzes entsprechender Steuerungsinstrumente in der Sozialen Arbeit die kommunalen Leistungskosten in zentralen Bereichen in den vergangenen Jahren weiter gestiegen (vgl. Grohs 2007), u.a. weil mit der neuen Kinderschutz-Orientierung die Zahl von Inobhutnahmen und stationären Unterbringungen teilweise deutlich angewachsen ist; sondern die sozialrechtliche Verpflichtung auf ‚Wirtschaftlichkeit‘ im relevanten Sozialgesetzbuch (§ 78b, Absatz 2, KJHG) zeigt auch, wie weitreichend – und weit über eine rein organisationsstrukturelle Dimension hinaus – der Prozess der Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit inzwischen verankert ist. Mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der ‚Wirtschaftlichkeit‘ ist – neben der Sparsamkeit und der Leistungsfähigkeit – einer der drei Grundsätze für die Leistungsvereinbarungen benannt und seit dessen Rechtsgültigkeit u.a. für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe im einschlägigen Sozialgesetzbuch (SGB VIII) im Jahr 1999 auch justiziell festgeschrieben und u.a. im Erweiterungsgesetz (KICK) seit 2005 nochmals weiter spezifiziert. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit verpflichtet die Träger sozialpädagogische Leistungen auf den bestmöglichen Erfolg der Leistung bei geringstmöglichem Aufwand (Schellhorn 2000, S.439). Der vorherrschende Prozess der Ökonomisierung im Feld der Sozialpädagogik kann aber nicht nur als organisationale Transformation betrachtet werden, sondern als Teil einer umfassenden Transformation des Sozialen, und daher erweisen sich organisationstheoretische Betrachtungen zur Ökonomisierung auch als unzureichend.

Ökonomisierung als Teil der Transformation des Sozialen – die gesellschaftstheoretische Dimension

Die Ökonomisierung im Feld der Sozialpädagogik erweist sich als Teil einer umfassenden und fundamentalen „Ökonomisierung des Sozialen“ insgesamt (Lemke/Krasmann/Bröckling 2000), die in der „Verbetriebswirtschaftlichung“ organisationaler Settings nur einen Ausdruck findet. Die Rede von der Ökonomisierung des Sozialen sollte nämlich auf die konstitutive politisch-ökonomische Einsicht bezogen werden, dass Ökonomie keinen von der Politik unabhängigen Bereich darstellt, sondern diese Grenzziehung zwischen Politik und Ökonomie selbst schon eine historisch-spezifische Regierungspraktik und -logik darstellt (Foucault 2004). Die Kategorisierung von gegenwärtigen Entwicklungen als ‚ökonomisierend’ verweist aber zugleich auch auf die Durchsetzung eines spezifischen Menschenbildes, für dessen Herstellung staatlich verfasste Instanzen, wie die Kinder- und Jugendhilfe, für zuständig befunden werden oder sich selbst für zuständig erklären. Es handelt sich um den Typus eines ‚homo oeconomicus’ – der im Unterschied zu dessen klassischer Konzeption nun in der Logik des Neoliberalismus zum rational kalkulierenden Produzent seiner selbst wird (vgl. Bröckling 2007): Mit der Ökonomisierung des Sozialen ist also die kontinuierliche Etablierung einer „Kultur des Unternehmens“ (Gertenbach 2007, S. 122) in faktisch allen Lebensbereichen verbunden. Vergewissert man sich dieser Entwicklungsdynamik wird sofort einsichtig, dass die Parallelität von verschiedenen Entwicklungen auf ganz unterschiedlichen Ebenen im Feld der Sozialpädagogik kein Zufall ist: die unternehmerische Ausrichtung von Wohlfahrtsverbänden, die zunehmende Etablierung privat-gewerblicher Angebotsstrukturen, die Propagierung von Budgets als zentraler Steuerungsinstrumente (z.B. Sozialraumbudgets), die Etablierung aktivierender Strategien oder die Durchsetzung von Verträgen als organisationelles wie als pädagogisches Mittel. Diese Strategien und Instrumente dienten in den vergangenen Jahrzehnten häufig der Legitimation und Dynamisierung der Ökonomisierung im Feld der Sozialpädagogik: die einen, mit denen die betriebswirtschaftliche Umsteuerung der Angebotsstrukturen vorangetrieben wurde, die anderen, mittels derer unter der Überschrift von Autonomie und Eigenverantwortung die Kultur des Unternehmens befördert wurde.

Bildungs- und Sozialsystem im fortgeschrittenen Kapitalismus

Die Ökonomisierung im Feld der Sozialpädagogik ist Teil der fundamentalen Transformation des national- und wohlfahrtsstaatlichen Arrangements, wie es bis in das zweite Drittel des 20. Jahrhunderts etabliert wurde (‚das Soziale’). Seither erfährt die Vorstellung und die Realisierung öffentlicher Bildungs-, Erziehungs- und Sorgeleistungen insgesamt eine grundlegende Neuprogrammierung und -justierung (vgl. Kessl 2013a). Basierten entsprechende Angebotsstrukturen bis in die 1970er Jahre noch auf dem, wenn auch nie erreichten Ideal einer strukturellen Gleichheit aller Staatsbürger, so setzt sich seither zunehmend auch die Vorstellung einer konstitutiven Ungleichheit (wieder) durch. Dies hat handfeste Konsequenzen, wie die Verfestigung von Armutslagen am unteren Ende der gesellschaftlichen Verteilungshierarchie und der weiteren Konzentration von Reichtum am anderen Ende des sozialen Raumes anzeigen: Während noch nie so viel konzentriertes Kapitalvermögen in einzelnen Privathaushalten oder privaten Unternehmen vorhanden war, findet sich eine deutlich ansteigende Anzahl von Menschen, die um ihre Existenz kämpfen müssen. Ein augenfälliges Beispiel sind die Tafeln, mit denen die spendenbasierte Versorgung von Menschen mit Elementargütern wieder in den Alltag bundesdeutscher Städte gebracht wird. Sozialpädagogische Einrichtungen reagieren darauf häufig in der Form, dass sie selbst Existenzsicherungsangebote, wie Suppenküchen oder Sozialkaufhäuser anbieten, oder mit den bestehenden lokalen Tafeln zusammenarbeiten. Zugleich aber treiben die öffentlichen wie freien Träger die Ökonomisierung im Feld der Sozialpädagogik weiter voran, indem sie zum Beispiel die Beschäftigungsverhältnisse aus Gründen der Kostenersparnis prekarisieren: Lohnniveaus werden gesenkt, in dem zum Beispiel im Bereich der niedrigschwelligen Angebote Leiharbeits- und andere Niedriglohnstrukturen eingeführt werden, Leistungen werden durch Honorarkräfte erbracht, wie in der Kinder- und Jugendarbeit oder Qualifikationserfordernisse abgesenkt, wie die Einstellungspolitik im Bereich der stationären Hilfen zur Erziehung zeigt. Insofern gehen die organisationale und die politisch-ökonomische wie kulturelle Dimension der Ökonomisierung Hand in Hand.

Fabian Kessl

Literatur

  • Bröckling, Ulrich (2007): Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Buestrich, Michael/ Burmester, Monika/ Dahme, Heinz-Jürgen/ Wohlfahrt, Norbert (Hrsg.) (2008): Die Ökonomisierung sozialer Dienste und sozialer Arbeit. Entwicklung – theoretische Grundlagen – Wirkungen. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.
  • Foucault, Michel (2004): Geschichte der Gouvernementalität, Bd. 2: Die Geburt der Biopolitik. Vorlesung am Collège de France 1978/1979. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Gertenbach, Lars (2007): Die Kultivierung des Marktes: Foucault und die Gouvernementalität des Neoliberalismus. Berlin: Parodos.
  • Grohs, Stephan (2007): Reform der Jugendhilfe zwischen Neuer Steuerung und Professionalisierung. Eine Bilanz nach 15 Jahren Modernisierungsdiskurs. In: Zeitschrift für Sozialreform, 53. Jg., Heft 3, S. 247-274.
  • Kessl, Fabian (2013a): Soziale Arbeit in der Transformation des Sozialen: eine Ortsbestimmung. Wiesbaden: VS Verlag.
  • Kessl, Fabian (2013/i.E.): Ökonomisierung. In: Karin Böllert (Hrsg.): Handbuch Kinder- und Jugendhilfe. Wiesbaden: VS Verlag.
  • Lemke, Thomas/ Krasmann, Susanne/ Bröckling, Ulrich (2000): Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien. Eine Einleitung. In: Dies. Hrsg.): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 7-40.
  • Otto, Hans-Uwe/ Ziegler, Holger (2011): Managerialismus. In: Hans-Uwe Otto/ Thiersch, Hans (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit. München/Basel: Reinhardt, S. 901- 911.
  • Santen, E. van (1998): „Output“ und „outcome“ der Implementierung Neuer Steuerung. Empirische Befunde zu den Erscheinungsformen und Folgen der Neuen Steuerung in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Neue Praxis, 28. Jg. Heft 1, S. 36-49.
  • Schellhorn, Walter (2000) (Hrsg.): Sozialgesetzbuch Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe. SGB VIII, KJHG. Ein Kommentar für Ausbildung, Praxis, Rechtsprechung und Wissenschaft. Neuwied/Kriftel: Luchterhand.
  • Schröder, Jan W. (2000): Handbuch zur Neuen Steuerung in der Kinder- und Jugendhilfe: eine Arbeitshilfe für freie und öffentliche Träger. Stuttgart, Berlin & Köln: Kohlhammer (Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Band 187).
  • Tegethoff, Hans Georg (1995): Schlankheitskur für die Jugendhilfe. Rationalisierung nach dem Modell der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt). In: Neue Praxis, 25. Jg. Heft 2, S. 132-150.

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