In seinem Buch „Was bin ich wert – Eine Preisermittlung“ geht Jörn Klare der Frage nach, was ein Mensch nach unterschiedlichen Berechnungen und Logiken wert ist: Als Versicherungsfall, als Marke, als Träger potentiell verkäuflicher Körperteile, als Kostenfaktor im Gesundheitswesen oder als Inhaber von Humankapital. Bildung, so wird bei der Lektüre schnell deutlich, stellt einen ‚kapitalen’, um nicht zu sagen, den zentralen Faktor bei der Berechnung des individuellen ökonomischen Wertes dar. In absoluten Werten wird der Humankapitalwert eines Menschen nach einer Berechnung der Alfred Herrhausen Gesellschaft für 2002 mit 230.000 Euro veranschlagt (Klare 2011: 103). Diese Summe wird errechnet aus den Investitionen von Familien und Staat in die ersten 20 Lebensjahre eines Menschen. Die humankapitalistische Prämisse lautet also, dass sich Bildung, Bildungsprozesse, Bildungsziele, Bildungsinstitutionen und Bildungssubjekte durchgängig nach ihrem Tauschwert bestimmen lassen.
In gewisser Weise ist eine solche humankapitalistische Perspektive auf Bildung in den letzten drei Jahrzehnten in der Bildungspolitik hegemonial geworden. Denn seit den 1980er Jahren international und in Deutschland seit den 1990er Jahren werden Bildungseinrichtungen zunehmend ökonomisierenden Praktiken unterzogen, die nicht mehr nur periphere Bereiche, sondern Kernbereiche der Leistungserbringung der Bildungsinstitutionen betreffen. KritikerInnen dieser Entwicklung sprechen daher von einer Kapitalisierung bzw. einer Kommodifizierung von Bildung. Dies bedeutet, dass die Ökonomisierung von Bildung eine Qualität oder ein Ausmaß erreicht hat, bei dem Bildungsprozesse und Bildungsinstitutionen nur noch, d.h. primär nach ökonomischen Kriterien bewertet werden. Dazu gehört neben der Profit- und Mehrwertorientierung auch die Ausrichtung an Kriterien der Effizienz und Effektivität sowie die vorrangige Bedeutung von Bildung als Humankapital.
Gary Rhoades und Sheila Slaugther sprechen in ihren Analysen zu den Veränderungen im Hochschulbereich von einem „Akademischen Kapitalismus“. Colleges und Universitäten würden aufgrund des hohen Verlustes an staatlicher Unterstützung „ein weites Spektrum kommerzieller Produkte als eine grundlegende Einnahmequelle entwickeln, vermarkten und verkaufen“ (2004: 37). Sie identifizieren ein neues „academic capitalist knowledge/learning/consumption-Regime“ (ebd.), das sich dadurch auszeichnet, dass die Ökonomisierung den professionellen Kern von Hochschulen – Wissen zu vermitteln, zu qualifizieren, zu forschen und neues Wissen zu generieren – erreicht hat. Das heißt, dass diese Basisfunktionen von einer Tauschlogik durchdrungen werden, die jede pädagogische Handlung, jeden methodischen Schritt, das akademische Wissen und Können sowie die Kompetenzen der Professionellen zu einer handelbaren Dienstleistung und damit zu einer Ware macht. Die beiden AutorInnen betonen den Zwang, der hinter diesen gewaltsamen Transformationen in ein radikales Marktregime steckt, der in Form chronischer (und strategischer) Unterfinanzierung entsteht und der den Handlungsspielraum der Universitäten immer kleiner werden lässt.
Neben der erwähnten qualitativen Dimension der Veränderungen wird auch die schrittweise Ausweitung der Ökonomisierung einer Organisation nach innen wie auch die ökonomisierenden Veränderungen ihrer Umwelt als Kapitalisierung und Kommodifizierung bezeichnet. So versteht etwa Richard Münch unter ‚Kapitalisierung’ von Bildung, dass diese „nicht mehr als Kollektivgut der Gesellschaft gestaltet (…), sondern als Individualgut und Ware auf einem globalen Bildungsmarkt gehandelt wird“ (Münch 2010: 47). Und wenn Bildung erst zu einer auf einem Markt gehandelten Ware gemacht worden sei, „dann entscheidet der in erster Linie der gebotene Luxus über den Prestigewert eines Bildungstitels und dieser wiederum über den zu erzielenden Geldwert“ (ebd.: 51). Zu den inneren Transformationen von Bildungsinstitutionen gehört etwa die Etablierung ökonomischer Anreizsysteme (Konkurrenz, Leistung) mit dem finalen Ziel der Profitsteigerung. Der dem Prozess der Kapitalisierung unterliegende Kapitalbegriff bezieht sich somit im Bourdieuschen Sinne also nicht nur auf ökonomisches Kapital, sondern auch auf andere Formen wie symbolisches Kapital (‚Prestigewert’), kulturelles oder auch soziales Kapital in Form von ‚Vitamin B’ (vgl. Bourdieu 1997). Diese können an anderer Stelle wieder in ökonomisches Kapital entweder als individuelle oder gesellschaftliche ‚Bildungsrendite’, d.h. Mehrwert umgemünzt werden. Die Kapitalisierung von Bildung beinhaltet daher einen Prozess der gezielten Wertsteigerung individuellen oder gesellschaftlichen Bildungskapitals.
Reinhold Sackmann definiert seinerseits in seiner Untersuchung zur Internationalisierung von Bildungsmärkten ‚Kommodifizierung’ in Anlehnung an Karl Polanyi als einen ökonomischen Prozess, „bei dem eine Dienstleistung oder ein Gegenstand zu einem marktwirtschaftlich gehandelten Gut wird bzw. ein Akteur sein Handeln zunehmend am Gewinn orientiert“ (Sackmann 2004: 66). Der „Kommodifizierungsgrad“ kann sich dabei historisch verändern (ebd.), d. h. Märkte können unterschiedlich stark in soziale Institutionen eingebettet sein (Polanyi 1978: 75). Entsprechend unterscheidet er gütertheoretisch zwischen a) Bildung als privatem Gut (Weiterbildung, Nachhilfe), b) Bildung als Stellvertreter-Gut (betriebliche Ausbildung und c) Bildung als öffentliches Gut (Primarschulunterricht) (ebd.: 68) sowie zwischen a) dekommodifizierten Anbietern (staatliche Universitäten), b) privaten, nicht gewinnorientierten Anbietern (Stiftungen) und c) gewinnorientierten Anbietern (ebd.: 67). Die Problematik einer solchen Betrachtung liegt in der engen und strikten Unterscheidung von gewinnorientiert und nicht gewinnorientierten Akteuren, nach denen die Ausbreitung von Märkten bewertet wird. Da es nur um geldwerte Gewinne von Bildungsanbietern auf dem expliziten Bildungsmarkt geht, bleiben etwa Stiftungen bei dieser Betrachtung schon definitorisch außen vor, deren Engagement im Bildungsbereich aber den Einstieg in eine schleichende Privatisierung bedeuten kann (Höhne/Schreck 2009).
De- und Rekommodifizierung sind, wie bereits Marx festhielt, sind dem Kapitalismus immanente Bewegungen der Verdinglichung bzw. Ent-Dinglichung. Ob etwas zu einer Ware und damit der Tauschlogik unterworfen wird (Kommodifizierung), ist allerdings nicht nur ein ökonomischer, sondern vor allem auch politischer Vorgang. So bildet etwa eine auf Deregulierung oder Regulierung zielende staatliche Arbeitsmarktpolitik einen „Hebel für eine Re- oder Ent-Kommodifizierung von Arbeitskraft“ (Dörre 2009: 44), was analog auf den Bildungsbereich übertragen bedeutet: Jede Form der Deregulierung im Bildungsbereich bedeutet eine weitergehende Kommodifizierung und Subsumption der ‚Bildungskraft’ unter kapitalistische Marktgesetze. Diese beginnt nicht erst bei der Profitorientierung einzelner Bildungsdienstleister, sondern kann bereits durch die Schaffung innerer Märkte in einer Bildungsinstitution (z.B. leistungsorientierte Bezahlung), die Erhöhung von Wettbewerb zwischen Schulen und Hochschulen oder einer gezielten Bestenauslese bildungspolitisch initiiert werden.
Wenn Bildung als grundsätzlich dekommodifiziertes, allgemeines Gut aufgefasst wird, dann bietet sich eine Alternative für eine entsprechende Bestimmung von Bildung aus der Wohlfahrtsstaatsforschung an. De-Kommodifizierung im Sinne Esping-Andersons bezieht sich auf den Umfang und die Möglichkeiten für eine Person, außerhalb des Marktes (Arbeitsmarkt) ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Damit ist nicht nur das Maß substanzieller sozialer Wohlfahrt bezeichnet (z.B. Rente, Arbeit, Gesundheit, Bildung), die jemandem von staatlicher Seite gewährleistet werden, sondern auch die Möglichkeiten des Einzelnen, sich aufgrund der staatlichen Verteilung nicht kommodifizierter Güter vom Markt zu emanzipieren. Übertragen auf den Bildungsbereich macht der Dekommodifizierungsgedanke aus der Wohlfahrtstaatsforschung also auf die verteilungstheoretischen Probleme staatlicher Güter aufmerksam, deren Privatisierung mit einer abnehmenden Verteilungsgerechtigkeit einher geht. Interessanterweise zeigt sich hier eine bildungstheoretische Parallele zu Humboldts Differenzierung von Bildung nach spezieller und allgemeiner Bildung. Denn für allgemeine Bildung ist nach ihm eine gleichsam unnütze und damit dekommodifizierende Funktion charakteristisch mit dem Ziel individueller Emanzipation (d.h. einer individuellen Vervollkommnung im Bildungsprozess) gerade auch von gesellschaftlichen Zwecksetzungen, Erfordernissen und Zwängen. In der dekommodifizierenden Zwecklosigkeit von Bildung läge demnach gerade ihr nicht hintergehbarer gesellschaftlicher Wert.
Thomas Höhne
Literatur
Bourdieu, Pierre (1997): Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital. In: Ders.: Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg: VSA, S. 49–80.
Dörre, Klaus (2009): Die neue Landnahme. Dynamiken und Grenzen des Finanzmarktkapitalismus. In: Dörre, Klaus/Lessenich, Stephan/Rosa, Hartmut (Hg.): Soziologie – Kapitalismus – Kritik. Frankfurt Main: Suhrkamp
Rhoades, Gary / Slaugther, Sheila (2004): Academic Capitalism in the New Economy: Challenges and Choices http://69.18.221.209/pdfs/highered/academic/june04/Rhoades.qxp.pdf
Höhne, Thomas/Schreck, Bruno (2009): Private Akteure im Bildungsbereich. Eine Fallstudie zum schulpolitischen Einfluss der Bertelsmann Stiftung am Beispiel von SEIS. Weinheim/München: Juventa
Klare, Jörn (2011): Was bin ich wert? Eine Preisermittlung. Frankfurt Main: Suhrkamp
Münch (2010): Bologna oder die Kapitalisierung der Bildung. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 1/2010, S. 47 – 54.
Polanyi, Karl (1978): The Great Transformation. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Sackmann, Reinhold (2004): Internationalisierung von Bildungsmärkten? Empirische Daten zur Kommerzialisierung von Bildung in Deutschland und den USA. In: Beiträge zur Hochschulforschung, H. 4, S. 62–92.
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