5. Theorien, Kritiken, Narrationen

Quelle: Antigoni Ntonti

5.1 Der unterschiedliche theoretische Blick auf Ökonomisierung  

Es gibt nicht die eine Ökonomisierungstheorie an sich. Vielmehr wird Ökonomisierung in mehrfacher Weise theoretisch erklärt und mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen analysiert. Was alle Ansätze teilen, ist die Auffassung, dass es sich um einen komplexen Transformationsprozess handelt, bei dem ökonomische Formen, Instrumente und Logiken zunehmend in nicht primär ökonomischen Bereichen dominieren. Die Veränderungen betreffen die Makroebene (Felder, Systeme, Diskurse) und Mesoebene (Institutionen) genauso wie die Mikroebene alltäglicher Praktiken und Subjektivierungsweisen. Durchaus unterschiedlich wird jedoch in den unterschiedlichen Theorien der Umfang, der Grad bzw. die Reichweite ökonomisierender Transformationen eingeschätzt, was mit der Definition ‚des Ökonomischen‘ zusammenhängt. Für einige lässt sich Ökonomisierung nur an ‚harten‘ Indikatoren wie geldwertem Profit bzw. die Orientierung daran ermessen, für andere beginnt Ökonomisierung wesentlich früher, etwa mit der output-orientierten Steuerung im Schulsystem, in dem primär die messbare Leistung durch Tests evaluiert wird – ähnlich einem Kennziffernsystem im Unternehmen, nach dem Erfolg und Einsparpotenziale bemessen werden. Zum weiten Spektrum ökonomischer Formen, Instrumente und Logiken gehören u.a. das Primat von Effizienz- und Outputorientierung, Vermarktlichung, wettbewerbliche Selektion, die hierarchische Trennung von Leitung (Management, Schulleitung, Hochschulpräsidium) und operativer Ebene (Angestellte, LehrerInnen, ProfessorInnen), Unternehmen und Unternehmertum als globale Leitbilder usw. Im Folgenden sollen theoretische Ansätze kurz vorgestellt werden, die in der Diskussion zur Ökonomisierung eine wichtige Rolle spielen (Höhne 2012: 801-807).

System- bzw. differenzierungstheoretisch wird Ökonomisierung als Entdifferenzierung, d.h. als Auflösung von Rationalitätsgrenzen und Handlungslogiken zwischen Ökonomie, Politik, Gesundheit, Bildung usw., interpretiert (Schimank und Volkmann 2008; Krönig 2007). Dabei wird von systemeigenen Logiken oder Regeln (‚Code‘) ausgegangen, nach denen im System jeweils spezifisch gehandelt und kommuniziert wird: So etwa nach der Logik von Vermitteln/Aneignen, wenn es um Lernen und didaktisches Handeln im Bildungsbereich geht, während in der kapitalistischen Wirtschaft geld-, tausch- und marktbasierte Transaktionen nach Merkmalen wie Geldzahlungen, Angebot/Nachfrage, kaufen/verkaufen, Profit, Minimal-/Maximalprinzip (min. Kosten + max. Mehrwert) usw. operiert wird. Die jeweiligen Logiken der Systeme sind nicht beliebig austauschbar, weil sie a) die gesellschaftlichen Funktionen und b) die Autonomie der Systeme einschränken würden: Eine Wissenschaft, die primär ökonomisch an geldwerten Profiten ausgerichtet wäre, würde nicht mehr wahrheits- oder erkenntnisorientiert operieren – so die Annahme. Pierre Bourdieu spricht seinerseits von Feldern, in denen Akteure nach hybriden Logiken, aus unterschiedlichen Positionen und Motiven heraus sowie mit unterschiedlichen Ressourcen (Kapitalsorten) ausgestattet handeln. Auch Felder und Akteure haben eine eigene, wenn auch relative, Autonomie (‚Nomos‘ genannt), die stets in hierarchische Strukturen und Abhängigkeiten eingebunden ist. Demnach können WissenschaftlerInnen sowohl nach Wahrheit streben als auch gleichzeitig das Ziel verfolgen, damit Reputation (= symbolisches Kapital) und Einfluss (= Macht) zu erhöhen. Durch Ökonomisierung in der Wissenschaft würden Motive wie Reputations- und Machtgewinn in den Vordergrund geraten, die einen radikalisierten marktorientierten Wettbewerb unter WissenschaftlerInnen implizieren.

In der Perspektive der Gouvernementalitätsstudien wird Ökonomisierung als Durchsetzung einer neuen Regierungstechnologie undvon Diskursen konzipiert, die sich dadurch auszeichnen, dass das Subjekt zu einer neuen und spezifischen Form der Selbstregierung aufgefordert bzw. angerufen wird. Foucault betont den Unterschied des Homo oeconomicus als Tauschpartner (nach klassisch liberalem Verständnis) und der neuen neoliberalen Figur des Homo oeconomicus als „Unternehmer seiner selbst (…), der für sich selbst sein eigenes Kapital ist, sein eigener Produzent, sein eigenes Einkommen“ (Foucault 2004: 314). Die Übertragung ökonomischer Prinzipien auf das Subjekt ist kein äußerlicher Prozess von Zwang und Unterwerfung, sondern transformiert insofern das Selbst- und Fremdverhältnis der Subjekte in spezifischer Weise, als sie auf unterschiedlichen Modi der Selbsthervorbringung beruht: Pädagogisch als selbstorganisiertes lebenslanges Lernen, psychologisch als selbstgesteuerter Kompetenzerwerb und ökonomisch als Selbstunternehmer (Bröckling/Krasmann/Lemke 2000).

Neoinstitutionalistische Ansätze (Meyer/Rowan 2009, Meyer 2005) konnten eine weltweite Diffusion bestimmter institutioneller Strukturen und Inhalte im Bildungssystemen aufzeigen (zusammenfassend Adick 2009: 264). Im Kern geht es um die globale Verbreitung eines westlich dominierten Rationalitätsmodells, das sich durch spezifische Subjekt- und Handlungsvorstellungen auszeichnet: ein arbeitsethisch diszipliniertes, rationales Subjekt auf der einen Seite und die Objektivität wissenschaftlicher Erkenntnis sowie die Zweck-Mittel-Rationalität auf der anderen Seite. Diese Leitvorstellung repräsentiert das Homo-oeconomicus-Modell in der neoklassischen Ökonomie, das vor allem mit globalen Akteuren wie der OECD eine transnationale Verbreitung findet. Die weltweite Standardisierung von Titeln, Zeugnissen und Abschlüssen (Meyer/Ramirez 2005: 229) ist ein wichtiges Indiz für eine übergreifende gleichförmige Entwicklung von Organisationen, welche „langfristig zu einer Homogenisierung von formalen Strukturen und Praktiken innerhalb eines organisationalen Feldes“ führen können (Koch 2009: 119) – neoinstitutionalistisch als Isomorphie bezeichnet (Meyer/Rowan 2009). Im Bildungsbereich beruhen Ökonomisierungsprozesse auf Isomorphiemechanismen, die bildungspolitisch z.B. durch die Schaffung von Best-Practice-Beispielen (= Mimesis) (Höhne/Schreck 2009: 224 ff.), über normativen Druck in Form des Profilierungsgebots für Schulen (Schulprogramme) oder erzwungene Isomorphie qua gesetzlicher Bestimmungen (Bildungsstandards, zentrale Vergleichsarbeiten) umgesetzt werden.

Ökonomisierung fungiert zudem als Oberbegriff für eine Reihe ähnlicher Begriffe wie Kapitalisierung, Kommodifizierung, Kommerzialisierung, Landnahme, Privatisierung usw. (Höhne 2012: 799 f.). Richard Münch etwa greift auf den Begriff der „Kapitalisierung“ zurück, um eine gezielte Wertsteigerung von Bildungskapital sowie die Konvertierbarkeit unterschiedlicher Kapitalsorten untereinander zu bezeichnen, bei der Bildung als kulturelles Kapital primär zum Tauschmittel gemacht wird (Münch 2010). Reinhold Sackmann seinerseits definiert ‚Kommodifizierung‘ in Anlehnung an Karl Polanyi als einen ökonomischen Prozess, „bei dem eine Dienstleistung oder ein Gegenstand zu einem marktwirtschaftlich gehandelten Gut wird bzw. ein Akteur sein Handeln zunehmend am Gewinn orientiert“ (Sackmann 2004: 66). Ingrid Lohmann spricht von der „Kommerzialisierung der Bildung“ und hebt damit hervor, dass „Markt die Chiffre für tiefgreifende, weltweite Transformationsprozesse in den Beziehungen zwischen Ökonomie, Politik und Kultur“ sei, bei der nicht demokratisch legitimierte transnationale „Marktinstitutionen“ wie OECD, WTO oder Weltbank zunehmend bildungspolitische Entscheidungen konstitutiv beeinflussten (Lohmann 2010: 138 f.).

5.2 Möglichkeiten und Grenzen der Ökonomisierungskritiken

Von Ökonomisierung spricht in der Regel jemand, der/die damit eine Kritik formulieren möchte. Während die Verwendung des Ökonomisierungsbegriffs kritisch intendiert ist, vor allem als Kritik an hyperthrophen und unreflektierten Verallgemeinerungen ökonomischer Instrumente, Methoden und Diskurse, so existieren aber auch Vorbehalte gegenüber diesem kritischen Ökonomisierungsdiskurs. Was die Kritik an der Ökonomisierungskritik betrifft, so gibt es neben der wissenschaftlich-reflexiven Auseinandersetzung mit dem Ökonomisierungsbegriff auch eine polemische Variante. Danach stelle ‚Ökonomisierung‘ nicht mehr als einen politischen Kampfbegriff dar, was genauso wenig theoretisch weiterführend ist wie die gegenteilige Annahme, dass Ökonomie die gesamte Gesellschaft ‚feindlich übernehmen‘ würde. So wirft etwa Elmar Tenorth den  ÖkonomisierungskritikerInnen  vor, sie seien „gefangen in den alten Formeln“ und „blind gegenüber der tatsächlichen Praxis  und den Möglichkeiten der aktuellen Bildungsreform“ (Tenorth 2005). Gegenüber den vermeintlichen ‚ReformgegnerInnen‘ wird betont, dass es „falsch“ sei, Evaluation, Akkreditierung, Leistungsorientierung, Schulprofile usw. mit Ökonomisierung gleichzusetzen: „Bedeutet das alles ‚Ökonomisierung‘, also die Einführung eines fremden Prinzips in die Bildungseinrichtungen?“ Sein „Nein“ begründet er damit, dass die Kontrolle in den Händen der Bildungseinrichtungen selbst läge (Tenorth 2005). Was hierbei unberücksichtigt bleibt, ist der Umstand, dass besagte Autonomie gerade eine Voraussetzung für ein stärker ökonomisches Agieren von Organisationen am ‚Markt der Möglichkeiten‘ ausmacht (vgl. Punkt 4.4 zu Vermarktlichung durch Quasi-Märkte), denn dieses Legitimationsmuster findet bei privatisierten Kliniken oder Wasserbetrieben genauso wie im Fall von (teil)autonomen Schulen. Neben der globalen Zurückweisung des Ökonomisierungsbegriffs finden sich aber auch theoretisch fruchtbare kritische Auseinandersetzung mit dem Ökonomisierungsdiskurs, an dem u.a. kritisiert wird, dass dieser zu wenig empirisch argumentiere (Bellmann 2016). Demgegenüber liegen mittlerweile viele empirische Hinweise zu ökonomisierenden Veränderungen aus Fallstudien für verschiedene pädagogische Bereiche und bildungspolitische Akteure vor (Peetz 2014, Schimank/Volkmann 2017, Bloem 2018, Hartong/Hermstein/Höhne 2018, Höhne/Striebing 2020, Büchter/Höhne 2021).

5.3 ‚Der Staat‘ als Gegner/Feind ‚der Ökonomie‘? Narrationen und Gegennarrationen im Ökonomisierungsdiskurs

Über die erwähnte polemische Variante der ‚Anti-Ökonomisierungsposition‘ hinaus enthält auch der kritische Ökonomisierungsdiskurs ein metaphorisch-narratives Potenzial, das im Wesentlichen eine Kampf-, Kriegs- und Eroberungsgeschichte beinhaltet: Metaphern wie ‚Kolonialisierung‘, ‚feindliche Übernahme‘, ‚Angriff‘, ‚Expansion‘, ‚Landnahme‘ oder gar der „Terror der Ökonomie“ (Forrester 1997) erzählen die Geschichte einer gewaltsamen Grenzüberschreitung und Besetzung eines Territoriums durch eine ‚fremde Macht‘. Hierbei ist dem Staat oftmals die Rolle eines befriedenden ‚Schutzpatrons‘ zugedacht, dessen Gewaltmonopol und ausgleichende Macht zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen seit Thomas Hobbes gleichnamigem Buch (1651) durch den alles beherrschenden ‚Leviathan‘ symbolisiert wird.

Ökonomisierung als…

Quelle (Κolonialisierung): Antigoni Ntonti

Quelle (Krieg u.a):Thomas Höhne

Quelle (Leviathan): unbekannt

Diese narrativen Versatzstücke des Ökonomisierungsdiskurses repräsentieren Imaginationen einer hochgradigen Autonomie der einzelnen Handlungsfelder, mit der die Komplexität von Ökonomisierungsprozessen unterschätzt wird. Denn – um in der narrativen Form der Eroberungsgeschichte der Ökonomisierung zu bleiben – es zeigt die historische Erfahrung, dass ‚gelingende Kolonialisierung‘ als Herrschaftssystem nur durch die Mitwirkung eines Teils der Kolonisierten realisiert werden konnte. Übersetzt in die Theorie bedeutet dies: Ökonomisierung kommt nur augenscheinlich ‚von außen‘ und in der Regel mit einem ‚freundlichen Gesicht‘ und den Versprechen von Modernisierung, Effizienz und Autonomie daher und nicht mit der expliziten Absicht der ‚Eroberung‘.

Es kann also im kritischen Ökonomsierungsdiskurs nicht darum gehen, ein vorgefertigtes Freund/Feind-Schema zu bedienen, bei dem die Ökonomie als ‚das Außen‘, ‚das Fremde‘ und ‚der Antagonist‘ gegenüber allen kulturellen und sozialen Feldern begriffen wird. Dies entspricht „Verdrängungen des Ökonomischen“ (Bongaerts 2008) aus Pädagogik, Bildung, Kunst, Sport, Medien, Gesundheit und allen sozialen Feldern, in denen auch ökonomische Abhängigkeiten neben einer relativen Autonomie existieren. Daher wird in dieser Narration zweierlei übersehen: zum einen, dass Ökonomie, Gesellschaft und Politik im Kapitalismus nicht komplett getrennt sind, und zum anderen, dass ökonomische Instrumente und Prinzipien legitimerweise ausschließlich von staatlich-politischen Akteuren in den Bereichen öffentlicher Güter, der Daseinsvorsorge und sozialstaatlicher Leistungen durchgesetzt bzw. politisch dorthin vermittelt werden. Denn weder hat ‚die Ökonomie‘ selbst die großen neoliberalen Reformen auf den Weg gebracht, noch direkt in Bereiche wie Rente, Krankenversicherung, Pflege, ÖPNV, Eisenbahn, Post, Medien oder Bildung interveniert. Vielmehr waren es stets Staat und Politik, die durch großflächige Privatisierungen, Deregulierungen, Vermarktlichung, Veräußerung staatlicher Vermögensgüter und Rücklagen, die Übertragung von Eigentums- und Verwertungsrechten das Terrain für das Agieren ökonomischer Akteure erst bereitet hat, die schließlich den neu entstandenen Spielraum genutzt haben.

Von der ‚Gießkanne‘  des Wohlfahrtsstates zur ‚Finanzspritze‘  im investiven Sozialstaat

Thomas Grunau und Johanna Mierendorf thematisieren, in welcher Weise sich seit Ende der 1990er Jahre ein Wandel der Sozial- und Familienpolitik beobachten lässt: Die Finanzierung staatlicher Leistungen werden von nun an als Investitionen definiert, die sich zukünftig lohnen müssen, um legitimbar zu sein – z.B. als Investition in Humankapital, also zukünftig verwertbare Fähigkeiten Dies steht im Gegensatz zum kompensatorischen Verständnis im klassischen Wohlfahrtsstaat, bei dem sozialpolitische Leistungen als rechtlich legitimer Anspruch und Ausgleich für (und legitimer Anspruch auf) Unterstützung für für sozialökonomisch schwache Gruppen begründet wurden. Als zweiter Unterschied wird der Wechsel von der allgemeinen Förderung (Stichwort „Gießkanne“) zur spezifischen Unterstützung, die als lohnende und angepasste Investition deklariert wird (Stichwort  „Finanzspritze“). Diesen Wandel repräsentiert das zweckgebundene Gutscheinsystem, mit dem ein kontrollierter staatlicher Leistungstransfer gewährleistet werden soll.

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Eine differenzierende Narration zur Ökonomisierung könnte lauten: Es gibt eine historisch eingespielte und flexible Arbeitsteilung zwischen Staat/Politik und Ökonomie, die je nach Periode einmal mehr Staat und Regulation oder mehr Ökonomie und Vermarktlichung und höhergradige ökonomische Abhängigkeiten beinhaltet. Dies macht Ökonomisierung allerdings nicht weniger problematisch oder harmloser, denn eine umgreifende und systematisch durch den Staat betriebene Ökonomisierung meint nicht nur schlicht die blanke Durchsetzung von monetären Profitinteressen, Tauschlogiken oder mehr Wettbewerb, sondern beinhaltet grundlegende gesellschaftliche, normative, institutionelle und politische Veränderungen. Zudem wird die Frage nach der Verantwortung für diese Reformen wieder an Staat und Politik zurück adressiert, zumal die sozialen Effekte von Ökonomisierung für die politisch-demokratische Kultur dramatisch sein können, etwa im verstärkten Aufkommen autoritärer Einstellungen  (vgl. in Sektion 3 zu „Effekte von Ökonomisierung: Entsolidarisierung, Entwertungen und autoritäre Einstellungen“, Punkt 3.4).

Das Win-Win-Narrativ

Christina Gericke verdeutlicht, dass im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften strategisch oft auf das Narrativ der Win-Win-Situation als Legitimation der strategischen Zusammenarbeit zurückgegriffen wird. So wird unter dem Label der Partnerschaft eine offensive Lobbypolitik betrieben, die nach außen ein ‚austaririertes‘ Verhältnis beider Seiten repräsentieren soll. Wie einseitig letztlich aber Interessen durchgesetzt werden und private Akteure oftmals  staatliche Akteure und mithin Aufgaben ersetzen, zeigt dieser kritische Blick auf die Netzwerkpolitik

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Kasten: Eine Geschichte namens „Ich-AG“

„Eine Narration, die den Bürger zu einer »Ich-AG« transformiert, gewinnt ihre argumentative Überzeugungskraft aus der Dominanz des neo-liberalen Paradigmas. Wird die Implementierung der »Ich-AG« eingebettet in eine Erzählung, die um die Werte Selbstverwirklichung, Autonomie und Leistungsorientierungen kreist, so besitzt diese Erzählung dann hohe Glaubwürdigkeit, wenn sie rückgebunden werden kann an die Erfahrung des – individuellen wie kollektiven – Erfolgs, den ein an den Idealen des Neo-Liberalismus orientiertes Leben in der Vergangenheit gehabt hat. Seit dem Herbst 2008 hat der Neo-Liberalismus als Paradigma jedoch seine diskursive Unverfügbarkeit zu einem gewissen Teil eingebüßt – und mit ihm die Glaubwürdigkeit, die eine Narration besitzt, die sich in das Paradigma »Neo-Liberalismus« einfügt. Es steht daher zu erwarten, dass in den öffentlichen Begründungen von Politik jetzt andere Narrationen häufiger zu hören sein werden. Die Bedeutung, die Paradigmen als herrschende Sprachspiele für die Formierung von Diskursen besitzen, kann also gar nicht überschätzt werden.“ (Schaal 2009: 228).

Narrative in der bildungspolitischen Auseinandersetzung

Christina Gericke zeichnet zum einen die Ökonomisierungs-Kritik durch Gewerkschaften nach und zeigt zum anderen, dass Gewerkschaften jedoch keine eigenen öffentlichkeitswirksasmen Gegen-Narrative generieren, sondern teilweise eher apokalyptische Szenarien produzieren, die primär Skepsis kommunizieren.

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Narrationen der Ökonomisierungstheorien

Die erwähnten narrativen Strukturen zeigen sich auch in wissenschaftlichen Theorien und lassen sich somit auch im wissenschaftlichen Ökonomisierungsdiskurs ausmachen. Je nach theoretischer Perspektive kann man einige grundlegende Narrationen zur Ökonnomisierung unterscheiden:

  1. Die Narration der Kämpfe um Autonomie: Die Systeme oder Felder der Ökonomie, Gesellschaft, Staat und Politik gleichen quasi autonomen Akteuren, die um Freiheit und Autonomie gegenüber Zudringlichkeiten, Attacken und ‚feindlichen Übernahmeversuchen‘ kämpfen. Die Übergriffe abzuwehren und seine Autonomie zu behaupten, ist nicht so einfach, da alle Akteure in einer spezifischen Nähe-Distanz-Beziehung zueinander stehen und voneinander relativ abhängig sind, wie Bourdieu/Passeron (1971) deutlich gemacht haben.
  2. Die erwähnte ‚Einbettung‘ der Ökonomie in gesellschaftliche Institutionen ist ein weiteres Beispiel für den Theorietypus interdependenter Beziehungen zwischen verschiedenen sozialen Bereichen. Die von Karl Polanyi beschriebene „Entbettung“ (K. Polanyi, Punkt 1.3) meint den historischen Prozess der Verselbstständigung, Trennung und der ‚Ausgliederung‘ der Ökonomie aus sozialen Institutionen, wodurch die ‚Expansionsgelüste‘ der Ökonomie überhaupt erst entfaltet werden.
  3. Andere Theorien wie die System- oder Differenzierungstheorie machen aber gerade die Trennung der ‚Paarbeziehung‘ von Ökonomie, Politik und Gesellschaft zur Voraussetzung jeder Autonomie. Dadurch, dass die Ökonomie gegenüber anderen Akteuren aber mehr Bedeutung (Rationalität) und gleichsam mehr Gewicht auf die Waage bringt, übt sie in dieser Erzählung naturgemäß auch mehr Macht auf ‚leichtgewichtigere‘ und weniger autonome Akteure aus, wozu u.a. auch die Bildung gehört. Ökonomisierung löst, so lässt sich für den narrativen Kern dieses Theorietypus festhalten, die reziproken, auf Gegenseitigkeit beruhenden Bande von Akteuren und Handlungsbereichen (d.h. Felder, Systeme) auf, bedroht deren Autonomie und ‚verformt‘ diese gleichsam bis zur Unkenntlichkeit: Schulen sind dann Unternehmen, Krankenhäuser Betriebe, die auf Profit gedrillt werden, wodurch beide Institutionen ihrer ursprünglichen Hauptfunktion beraubt werden, nämlich Wissen/Kompetenzen zu vermitteln und Gesundheit sicherzustellen. Auch die betroffenen Akteure und Handlungsrollen werden dadurch umdefiniert: SchülerInnen und PatientInnen werden als KundInnen betrachtet. Auch hier trifft man auf die bereits erwähnte Problematik der strikten und unhinterfragten Trennung und Gegenüberstellung von Ökonomie auf der einen Seite und Staat, Gesellschaft und Bildung auf der anderen.
  4. In der erwähnten militärischen Variante dieser Narration wird auf die Metapher des Krieges oder des militärischen Angriffs zurückgegriffen mit der klassischen Grunddifferenz von Freund/Feind. Hierbei dringt die Ökonomie wie eine feindliche Macht in die Gesellschaft bzw. gesellschaftliche Teilbereiche ein und besetzt diese. Jedoch wird zuweilen nach unterschiedlichen Graden der Offensive durch die Ökonomie unterschieden. Das Spektrum reicht von Übergriffen und „Landnahme“ (Dörre) über Ein-/Angriffe und dem Eindringen – Bourdieu spricht von „Intrusion“ Bourdieu 1998a: 112 f.) – bis hin zu regelrechtem „Terror der Ökonomie“ (Forrester 1997). Ein weiteres Beispiel liefern Schimank/Volkmann mit der Aussage, dass es durch Ökonomisierung zu einer „vollendeten ‚feindlichen Übernahme‘“ (Schimank, U., & Volkmann, U. (2008: 386) komme. Sie sprechen auch von „korrupter struktureller Kopplung“ (ebd.) durch Ökonomisierung, also einer Art ‚Bestechung‘, die ökonomische Akteure nicht ökonomischen Akteure zahlen, um eine (Geschäfts)Beziehung zu knüpfen. Dies wirft die Frage nach der ‚Währung‘ auf: Geht es um politische Modernisierungversprechungen, um finanziellen Gewinn oder einen legitimatorischen Zugewinn?