(Un-)Gleichheit

Soziale (Un-)Gleichheit und die Versuche ihrer Regulierung und (V-)Erklärung

Gleichheit gehört zur Basissemantik und Selbstbeschreibung moderner Gesellschaften und ist nur in der Differenz von Gleichheit/Ungleichheit angemessen thematisierbar. Gleichheit stellt in gewissen Sinne auch die ‚andere Seite’ der Individualität dar, die gleichermaßen den normativen Kern moderner Gesellschaften ausmacht. Der politische Kampf um die Durchsetzung von Gleichheit ist hierbei historisch sowohl durch die bürgerliche Emanzipation des Einzelnen von der feudalen Privilegien-Ordnung und den damit verbundenen explizit hierarchischen sozialen Verhältnissen im 18. Jahrhundert geprägt als auch durch die Klassenauseinandersetzungen seit dem 19. Jahrhundert, wie sie im Zuge von Industrialisierung und Marktexpansion entstanden sind. Nicht erst in der Blütezeit neoliberaler Politik kam die Behauptung auf, es gäbe keine sozialen Klassen(spaltungen) mehr. Bismarcks Sozialgesetzgebung und der Korporatismus des ‚Rheinischen Kapitalismus’ stellen historische Versuche dar, die Klassenkämpfe zu befrieden und auf Dauer zu institutionalisieren. In der Soziologie – die klassische Wissenschaft zur Erforschung von Ungleichheit – rief Helmut Schelsky in den 1950er Jahren die nivellierte, sprich: ‚klassenlose’ Mittelstandsgesellschaft aus. Soziale Ungleichheit ist nach liberaler Deutung nicht gesellschaftlich bedingt, sondern Ursache persönlicher Fehlentscheidungen. Jede/r ist demnach seines/ihres Glückes Schmied, wobei Erfolg und Leistung gegenseitig aufeinander verweisen: Wer erfolgreich ist, dem gelingt dies aufgrund seiner Leistung; wer nichts oder wenig leistet, muss mit weniger Erfolg rechnen. Mit dieser Argumentation war es möglich geworden, ohne größere soziale Gegenwehr, den Wohlfahrtsstaat umzubauen und die öffentliche Verantwortung auf den/die Einzelne abzuwälzen.

Zur Geschichte des (Un-)Gleichheitsbegriffs

Die Erkenntnis der sozialen Bedingtheit von Ungleichheit lässt sich historisch bis in die Frühaufklärung zurückverfolgen, denn davor galten ungleiche Lebenslagen als natur- bzw. gottgegeben. So galt für Aristoteles die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, Freien und Sklaven als eine natürliche. Wegbereiter der modernen soziologischen Debatte um soziale Ungleichheit ist Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) mit seiner „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ (1775, Rousseau 1998). Darin stand für ihn Ungleichheit in engem Verhältnis zum Eigentum: „Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und dreist sagte: ‚Das ist mein‘ und so einfältige Leute fand, die das glaubten, wurde zum wahren Gründer der bürgerlichen Gesellschaft“ (Rousseau 1998: 74). Hier setzt später auch Karl Marx an, für den vor allem die Verfügbarkeit über die Produktionsmittel, also die Produktionsverhältnisse, soziale Ungleichheit hervorbringen. Eine pointierte Kritik wird von ihm zudem mit Blick auf die expandierende kapitalistische Vermarktlichung aller gesellschaftlichen Beziehungen geübt, wenn er feststellt, dass die „Warenform die allgemeine Form des Arbeitsprodukts, also auch das Verhältnis der Menschen als Warenbesitzer“ sei, was formal einem „Gleichheitsverhältnis“ entspreche (MEW 23: 74). Dies ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die Kritik an formal(rechtlich)er Gleichstellung und der damit verbundenen ideologischen Dimension. Durch die sich entwickelnde Arbeitsteilung zwischen Geschlechtern, Berufen, Regionen bis hin zu einzelnen Arbeitsschritten wurde im Zuge der Industrialisierung der Austausch von Gütern, Waren und Informationen zentraler Bestandteil der Gesellschaften. Pluralität und Verschiedenheit kann in dieser Hinsicht grundsätzlich wünschenswert für die gesellschaftliche Entwicklung sein. Die Frage sozialer Ungleichheit stellt sich aber dann, wenn sozial relevante Unterscheidungen diskriminierend werden und zu sozialer Ungleichheit führen:

„Wir sprechen immer dann von sozialer Ungleichheit, wenn Menschen (immer verstanden als Zugehörige sozialer Kategorien) einen ungleichen Zugang zu sozialen Positionen haben und diese sozialen Positionen systematisch mit vorteilhaften oder nachteiligen Handlungs- und Lebensbedingungen verbunden sind.“ (Solga et al. 2009: 15).

Zu unterscheiden sind hierbei grundsätzlich zwei Formen sozialer Ungleichheit. Chancenungleichheit meint die Nachteile, die jemand aufgrund zugeschriebener bzw. askripitiver Merkmale hat. So wirkt sich das Geschlecht auf die Einkommensungleichheit aus (Funder/Sproll 2012) wie auf die soziale Herkunft und die Klassenlage sowie auf den Bildungserfolg. Verteilungsungleichheit meint dagegen die ungleiche Verteilung von Lebensbedingungen und Handlungsressourcen aufgrund erworbener Merkmale. So führen Bildungsungleichheiten oder die Berufswahl zu ungleichen Einkommen und Arbeitslosigkeitsrisiken und damit zum Beispiel zu ungleichen Gesundheitsrisiken. Nach Ritsert finden sich Wirkungen sozialer Ungleichheit immer auf drei Ebenen: Reichtum, Ehre bzw. Prestige und Macht (Ritsert 2009: 160ff.). Ihre Begründungen finden sie jedoch in vielen Bereichen und Formen: ökonomisch, kulturell, sozial, symbolisch, regional, religiös, ethnisch, gesundheitlich, sexuell etc. Dabei überlagern sich diese Ungleichheitsebenen, was zu gegenseitig sich verstärkenden Effekten führen kann – auch als Überdeterminierung verschiedener Linien von Ungleichheit beschrieben. Im traditionellen Marxismus ging man noch davon aus, dass vor allem die ökonomische Ungleichheit die anderen Ungleichheitsformen determiniert. Insbesondere die Frauen- und Bürgerrechtsbewegung brachten seit den 1960er Jahren die Dimensionen Geschlecht und Ethnie, Rasse, Nation in die kritische Debatte um die Reproduktion von Ungleichheit(en) ein. Schließlich sind seit den neuen sozialen Bewegungen auch andere Formen sozialer Ungleichheit, z.B. aufgrund der sexuellen Orientierung oder physischer Beeinträchtigung in den Fokus gerückt. In feministischer Perspektive wird auf die explizite und implizite ‚Ungleichheit’ von Gleichheitspostulaten hingewiesen. Dies betrifft sowohl historische Gleichheitsforderungen wie etwa der von ‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit’ wie auch die bloß formal(rechtlich)e Gleichstellung der Geschlechter, der die „materielle Gleichheit“ historisch hinterherhinkt, da sich „die historisch entstandenen Ungleichheiten (…) in die politischen Institutionen des Staates eingeschrieben haben“ (Wöhl 2012: 112). Insgesamt zeigt sich in der historischen Rückschau auf den Gleichheitsdiskurs, dass

a) gesellschaftliche Gleichheit nicht einfach gegeben ist – in keinem Bereich, auch nicht in Form der liberalen Fiktion individueller und vermeintlich gleicher Marktteilnehmer_innen ,

b) dass der moderne Gleichheitsdiskurs bis heute ein Ergebnis politischer Kämpfe um gesellschaftliche Vorstellungen von (Un-)Gleichheit ist,

c) Gleichheitsforderungen stets eine Kritik von Ungleichheit beinhalten und dass

d) Ungleichheit unterschiedliche soziale Ursachen hat und viele verschiedene Formen annehmen kann.

Daher setzen Ungleichheitstheorien in jüngerer Zeit einen Akzent auf die Untersuchung des Zusammenwirkens mehrerer Ungleichheitsformen wie etwa der Ansatz der Triple Oppression (Dreifachunterdrückung), der die mehrfache und gleichzeitige Unterdrückung auf Grund der geschlechtlichen, ethnischen und klassenspezifischen Zugehörigkeit (sex, class, race,) hervorhebt. Gegenwärtig gewinnt vor allem die Debatte um Intersektionalität (engl. intersection = Schnittpunkt, Schnittmenge), also der Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen in einer Person an Bedeutung (Winkler/Degele 2009). Dazu kommen die vielfältigen Ansätze der Ungleichheit aufgrund von regionalen Disparitäten. In der deutschen Schuldebatte deutlich im Sinnbild der „katholischen Arbeitertochter vom Land“ für einen Idealtypus einer vom Schulsystem der 1960er Jahre besonders benachteiligten Gruppe (Vgl. Dahrendorf 1966; Peisert 1967).

Bildung und soziale Ungleichheit

Ungleichheitsrelevante Faktoren wirken nicht nur im Bildungssystem, das als relativ autonomer gesellschaftlicher Bereich zur Reproduktion sozialer Ungleichheit in entscheidender Weise beiträgt (Bourdieu/Passeron 1971). Dies beginnt schon frühzeitig nicht mehr erst ab der Primarstufe, sondern durch den verstärkten Wettbewerbs- und Konkurrenzdruck werden die Bildungschancen zunehmend schon im vorschulischen Bereich der Früherziehung ungleich verteilt. Ein Bildungsparadoxon bzw. eine zentrale Illusion, wie Pierre Bourdieu und Jean-Claude Passeron dies genannt haben, liegt darin, dass Schule und institutionalisierte Bildungseinrichtungen soziale Ungleichheit reproduzieren, indem sie die Lernenden als gleichwertig deklarieren, dabei aber soziale Unterschiede negieren. Wenn Kinder in die Schule kommen, sind sie von ihrem bisherigen sozialen Umfeld geprägt und bringen unterschiedliche Voraussetzungen mit. Familien verfügen über ungleiche finanzielle und kulturelle Ressourcen. Finanziell schwächer gestellte Familien haben ein stärkeres Interesse daran, dass ihre Kinder früher finanziell unabhängig werden, da sie sich lange und kostspielige Bildungszeiten (mit schwer kalkulierbaren Erfolgswahrscheinlichkeiten) kaum leisten können (Vgl. Hacket et al. 2001). Es ist dabei jedoch notwendig den Blick über reine ökonomischen Ungleichheiten hinaus zu erweitern, wie dies etwa Bourdieu mit seinem erweiterten Kapitalkonzept versucht. So vermittle jede Familie

“ihren Kindern auf eher indirektem als direktem Weg ein bestimmtes kulturelles Kapital und ein bestimmtes Ethos, ein System impliziter und tief verinnerlichter Werte, das u.a. auch die Einstellungen zum kulturellen Kapital und zur schulischen Institution entscheidend beeinflussen“ (Bourdieu 2001: 26).

Dazu kommen die regional verschiedene Ausstattung mit Bildungsangeboten (Erreichbarkeit, Ausstattung der Bildungseinrichtungen), Zugangsregelungen (Zugangsbeschränkungen, Numerus Clausus, Gebühren, Lebenshaltungskosten,…), fehlende Durchlässigkeit zwischen den Schultypen oder Diskriminierungen aufgrund des Alters, der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts. Viele Schulkinder stehen vor der Schwierigkeit, dass sie ihre gewohnte Lebenswelt im schulisch vermittelten Wissen nicht wiederfinden und damit keine zureichende „Passung“ zwischen Schule und der Lebenswelt von Kindern aus kleinbürgerlichen, proletarischen oder prekären Milieus hergestellt wird (Kramer/Helsper 2010), was zu einer strukturellen Benachteiligung „schulbildungsferner Unterschichtmilieus“ (Grundmann u.a. 2008: 52) führt. Ein zentrales Distinktionsmittel hierbei stellt nach wie vor Sprache dar und zwar sowohl, was den Zugang zur Schule (Sprachstandstests) betrifft als auch Sprache als ein wichtiges soziales Unterscheidungsmerkmal in der Schule. Der Perspektivenwechsel einer solchen Betrachtung liegt darin, dass ‚Bildungsferne’ nicht einfach gegeben, sondern durch die Bildungsinstitutionen selbst systematisch hergestellt wird. Denn durch die Nicht-Passung ist für die wenig anschlussfähigen Kinder aus unterprivilegierten Milieus strukturell eine andere Lernsituation gegeben als für Kinder, die über ein entsprechendes kulturelles Kapital verfügen. Dies begünstigt sogn. „Schereneffekte“, wie dies in der Ungleichheitsforschung genannt wird (Hopf 2010: 159), d.h. auseinander driftende Bildungskarrieren von Kindern unterschiedlicher sozialer Herkunft nach dem Matthäus Prinzip: ‚Denen, die haben, wird gegeben und denen, die wenig(er) haben, wird genommen’. Die ‚unpassende’ kulturelle Ausstattung führt – wie die Bildungsforschung zeigen konnte – in den unterschiedlichen Schulformen zur Fortschreibung und Verstärkung von Bildungsungleichheit aufgrund unterschiedlicher „differenzieller Entwicklungsmilieus“ (ebd.: 158). Ungleichheiten werden bei der einseitigen Fokussierung auf das pädagogische Verhältnis (Lehrer_innen-Schüler_innen) oftmals unterschätzt oder als pädagogisch bearbeitbar (Förderung, Kompensation) dargestellt und damit letztendlich ‚wegrationalisiert’. So vermittelt die vorherrschende Begabungsideologie den Benachteiligten das Bild, ihre Misserfolge seien nicht Folge ihrer inferioren Lage, sondern ein ‚naturbedingter’ Mangel an Begabung. Welche Auswirkungen die Herstellung von ‚Bildungsferne’ auf Schüler_innen hat, wurde etwa in Paul Willis „Learning to labour“ untersucht. Er zeigt, was passiert, wenn das pädagogische Verhältnis aus den Fugen gerät, und wie schwierig es ist, das Einverständnis der Schüler_innen täglich neu aufzubauen, die sich vom Unterricht wenig für ihren Alltag oder vom Schulabschluss kaum etwas für ihr Leben erwarten können. In den sogenannten „Problem- oder Brennpunktschulen“ kann das mitverfolgt werden. Wenn Schüler_innen erkennen, dass sie für ihren Lernaufwand und ihre disziplinierte Anwesenheit weder von der Gesellschaft noch von der Institution eine entsprechenden Gratifikationen erwarten können, dann kündigen sie den Vertrag einseitig (vgl. Willis 1979).

Deregulierung, Ökonomisierung und die Verschärfung von Ungleichheit

Seit den 1980er Jahren kommt es zu einem schrittweisen Umbau der öffentlichen Wohlfahrtssysteme, was vor allem seit der Jahrtausendwende zu einer vehementen Umverteilung von Vermögen von unten nach oben und damit zu einem Anstieg der Ungleichheit geführt hat (Schmid/Stein 2013). Wenn öffentliche Förderungen gekürzt werden und mehr Eigenverantwortung gefordert wird, dann werden vor allem diejenigen Personen benachteiligt, die auf weniger Eigenmittel respektive Kapital, also Vermögen, Beziehungen und Machtmittel verfügen. Letztlich hat die zunehmende Ungleichheit auch negative Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft, wie Wilkinson und Pickett (2009) zeigen konnten, da Gesellschaften mit geringerer Ungleichheit insgesamt prosperierender und zufriedener sind. Seit Mitte der 1990er Jahre baut der Staat den Bildungsbereich nach den Prinzipien des New Public Management um: betriebswirtschaftliche Effizienzkriterien und stärkere Marktorientierung, Schulautonomie und Zielvereinbarungen, learn management und Controlling sowie flexiblere Beschäftigungsverhältnisse. Dies geht einher mit einer chronischen Unterfinanzierung der öffentlichen Bildungseinrichtungen. Diese ‚Zangenbewegung’ aus Unterfinanzierung und verstärkter Leistungskontrolle ist ein Grund für die auseinandergehende Schere bei Bildungsinstitutionen – ob es sich um den sich vergrößernden Abstand von guten/erfolgreichen und erfolglosen Schulen oder exzellente und durchschnittlicher Universitäten handelt. Diese Ungleichheit ist politisch intendiert und impliziert einen grundlegenden Steuerungs- und Politikwechsel in ganz unterschiedlichen sozialpolitischen Bereichen. So haben das Berliner Institut für Bevölkerung und Entwicklung und das Potsdamer Institut für Nachhaltigkeitsstudien (IASS) in einem neuen Bericht zu demographischen Veränderungen den Abschied vom Gleichwertigkeitsprinzip empfohlen, was die staatliche Finanzierung von Infrastrukturleistungen in ländlichen Gebieten betrifft. „Ungleichwertigkeit“ oder „wem das Wort missfällt, der kann auch von ‚Vielfalt’ sprechen“, müsse „Teil der politischen Planung werden. Weil die Mittel begrenzt sind, gefährdet das Dogma von Wachstum und Gleichwertigkeit die Chancen jener Regionen, die sich zukünftig stabilisieren können“ (Berliner Institut für Bevölkerung und Entwicklung/IASS 2013: 5). Neben Gesundheit, Wasser, Energie und Mobilität wird u.a. im Schulbereich die stärkere und gezieltere Förderung von Privatschulen mit dem Ziel einer stärkeren Konkurrenz zu staatlichen Schulen gefordert (ebd.: 58), um die zukünftige Versorgungsdichte selektiv und mit einem höheren Anteil an privaten Investitionen zu gewährleisten. Die Folge einer solchen Privatisierungs-Bildungspolitik wäre eine nachhaltige Schaffung von Marktstrukturen, durch die Eltern als Privatinvestoren und Kunden (Schulgebühren) betrachtet, der Konkurrenzdruck unter den Schulen erhöht und ein verstärkter selektiver Zugang zu Institutionen praktiziert würde. Diese Entwicklung fügt sich in einen allgemein expandierenden Markt an privaten Bildungsangeboten vom Kindergarten über Schulen und Universitäten bis zur Erwachsenenbildung ein. Eltern, die es sich leisten können, schicken ihre Kinder in Privatschulen oder finanzieren Nachhilfeunterricht – ein größtenteils unregulierter Markt von Anbietern, der sich mit einem Volumen von 0,7 bis 3 Milliarden Euro herausbildet (vgl. Dohmen u.a. 2008: 69-70) und langsam aber sicher zu einem Parallel-Schulsystem herauszubilden beginnt. Aus Angst vor dem sozialen Abstieg nehmen Eltern ihre Kinder aus dem öffentlichen System und tragen so dazu bei, dass sich die Probleme dort noch verschärfen (vgl. Erler 2009). Eine Konsequenz dieser Entwicklung ist die angedeutete Spaltung des Bildungssystems in einen exklusiven Bereich für Eliten und einen Rest für die breite Masse. Die Betonung der Eigenverantwortung und privater Beiträge zu Bildung und Ausbildung steht in engem Zusammenhang mit einem generellen Rückzug des Staates aus der Daseinsvorsorge im Allgemeinen und vollzieht sich analog zur zunehmenden Flexibilisierung und Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen. Bildung kann je nach bildungspolitischer Akzentuierung dabei helfen Ungleichheiten abzubauen oder zu verstärken. Das gilt insbesondere durch die gestiegene Bedeutung von Bildungsabschlüssen für die Realisierung von Lebenschancen. Der Rückgang öffentlicher Gelder und der Favorisierung privatwirtschaftlich ausgerichteter Steuerungskonzepte in den Bildungsbereich führen jedoch zu einer Verstärkung sozial ungleicher Ausgangslagen.

Ingolf Erler und Thomas Höhne

Literatur

  • Berliner Institut für Bevölkerung und Entwicklung/IASS (2013): Vielfalt statt Gleichwertigkeit. Was Bevölkerungsrückgang für die Versorgung ländlicher Regionen bedeutet: www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/Vielfalt_statt_Gleichwertigkeit/Vielfalt_statt_Gleichwertigkeit_online.pdf (letzter Zugriff am 07.09.2013)
  • Bourdieu, Pierre (2001): Wie die Kultur zum Bauern kommt. Über Bildung, Schule und Politik, hrsg.v. Margareta Steinrücke. Hamburg: VSA.
  • Bourdieu, Pierre/ Passeron, Jean-Claude (1971): Die Illusion der Chancengleichheit. Stuttgart: Klett.
  • Dahrendorf, Ralf (1966): Bildung ist Bürgerrecht. Plädoyer für eine aktive Bildungspolitik. Hamburg: Nannen-Verlag.
  • Dohmen, Dieter/ Erbes, Annegret/ Fuchs, Kathrin/ Günzel, Juliane (2008): Was wissen wir über Nachhilfe? – Sachstand und Auswertung der Forschungsliteratur zu Angebot, Nachfrage und Wirkungen. Bonn: BMBF: www.bmbf.de/pubRD/sachstand_nachhilfe.pdf (letzter Zugriff am 04.09.2013).
  • Erler, Ingolf (2009): Über die Bildung von Geld und Einfluss. In: Erler, Ingolf/ Lichtblau, Pia/ Renner, Elke(Hrsg.): Bildung unterm Hammer. Privatisierung und Umverteilung. Schulheft Nr. 133, Innsbruck: Studienverlag, S. 54-66.
  • Funder, Maria/ Sproll, Martina (2012): Symbolische Gewalt und Leistungsregime. Münster: Westfälisches Dampfboot.
  • Grundmann, Matthias/ Bittlingmayer, Uwe/ Dravenau, Daniel/ Groh-Samberg, Olaf (2008): Bildung als Privileg und als Fluch – zum Zusammenhang zwischen lebensweltlichen und institutionalisierten Bildungsprozessen. In: Becker, Rolf/ Lauterbach, Wolfgang (Hrsg.): Bildung als Privileg. Wiesbaden: VS Verlag.
  • Hopf, Wulf (2010): Freiheit – Leistung – Ungleichheit. Bildung und soziale Herkunft in Deutschland. Weinheim/München: Juventa.
  • Kramer, Rolf-Torsten /Helsper, Werner (2010): Kulturelle Passung und Bildungsungleichheit – Potenziale einer an Bourdieu orientierten Analyse der Bildungsungleichheit. In: Krüger, Heinz Hermann (et al.) (Hrsg.): Bildungsungleichheit revisited. Wiesbaden: VS Verlag, S. 103-125.
  • Peisert, Hansgert (1967): Soziale Lage und Bildungschancen in Deutschland. München: Piper Verlag.
  • Rehberg, Karl-Siegbert (2006): Die unsichtbare Klassengesellschaft. In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilband. 1 und 2. Frankfurt am Main: Campus Verlag.
  • Ritsert, Jürgen (2009): Schlüsselprobleme der Gesellschaftstheorie. Individuum und Gesellschaft – Soziale Ungleichheit – Modernisierung. Wiesbaden: VS-Verlag.
  • Rousseau, Jean-Jacques (1998): Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (Hrsg. u. Übers.: Rippel, Philipp). Stuttgart: Reclam.
  • Schmid, Kai Daniel/ Stein, Ulrike (2013): Explaining Rising Income Inequality in Germany, 1991-2010. Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung.
  • Solga, Heike/ Powell, Justin/ Berger, Peter (Hrsg.) (2009): Soziale Ungleichheit. Klassische Texte zur Sozialstrukturanalyse. New York/ Frankfurt: Campus Verlag.
  • Wilkinson, Richard/ Pickett, Kate (2009): Gleichheit ist Glück- warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Berlin: Tolkemitt Verlag.
  • Willis, Paul (1979): Spaß am Widerstand. Frankfurt am Main: Syndikat.
  • Winkler, Gabriele/ Degele, Nina (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld: transcript.
  • Wöhl, Steffi (2012): Gleichheit. In: ABS der Alternativen 2.0, hrsg. von Brand, Uli (et al.) Hamburg: VSA, S. 112-113

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